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Kultur: Fantastisch plastisch

Die internationalen Auktionshäuser setzen Kunst um wie zu Boomzeiten. Neu ist das Publikum und sein Geschmack.

Wie der Phoenix aus der Asche erhob sich der Kunstmarkt wieder in die Lüfte und erreichte 2010 nicht nur das Rekordniveau des Boomjahres 2007, sondern übertrumpfte es noch. Kunst ist schöner und edler als Gold und vielleicht sicherer als eine europäische Staatsanleihe.

Der schönste Aspekt dieses Comebacks war seine Vielfalt. Seit Jahrzehnten gab es nicht so viele Überraschungspreise. Rekorde für gedruckte Bücher, englische Möbel oder Modeschmuck von Cartier. Eine silberne Weinzisterne ging für 2,5 Millionen Pfund (3,9 Millionen Dollar) nach Asien. Die Marmorbüste des Jünglings Antinoos, in den sich der römische Kaiser Hadrian unsterblich verliebte, verzehnfachte die Taxe auf 23 Millionen Dollar. Amedeo Modiglianis „Tête“, eine seiner nur 27 plastischen Arbeiten, wurde statt auf die geschätzten vier bis sechs Millionen Euro auf 43 Millionen gesteigert. „Immer mehr Sammler wollen ihre Gemälde durch Plastik akzentuieren“, begründete der Londoner Skulpturenhändler Robert Bowman, der eben eine zweite Skulpturengalerie in London eröffnete, den Aufschwung der Plastik. Alte oder neue Kunst, Antiken, Kunsthandwerk, Alte Meister und Modernes - die Vielfalt des Kostbaren hat die Fixierung der Sammler auf Trend, Mode und das Zeitgenössische abgelöst.

Ganz oben auf der Liste der Höhepunkte stehen die beiden Rekordpreise von jeweils über 100 Millionen Dollar, die dem Kunstmarkt nach zwei Jahren des Zitterns wieder den Mut zum Superpreis gaben. Im Februar ersteigerte sich die Bankierswitwe Lily Safra für ihre Londoner Wohnung Alberto Giacomettis „Schreitenden Mann“ für 103,4 Mio Dollar. Im Mai brachte Pablo Picassos „Nu au plateau de sculpteur“ (Frauenakt, grüne Blätter und Büste) bei Christie’s in New York sogar noch ein bisschen mehr. Dann wurde Turners 1839 gemalte Rom-Vedute, die sich das Getty Museum 36 Millionen Pfund (46 Millionen Dollar) kosten ließ, der teuerste Altmeister des Jahres.

Andy Warhol übernahm wieder die Führung der Nachkriegskunst mit dem Schwarzweiß Bild „Men in her life“ von 1962 mit drei Ehemännern Elizabeth Taylors. Das Auktionshaus Philips de Pury versteigerte es in der von dem Kunsthändler Philippe Ségalot „kuratierten“ Carte Blanche-Auktion für 63 Millionen Dollar. Es war die Einlieferung des Warhol-Spekulanten Josef Mugrabi, abgesichert durch eine Garantie von dritter Seite – gemeinsam bugsierten die Marktspieler den Hochpreismarkt wieder in die Strömung zurück. Nach dem bunten, schrillen Neo-Pop des letzten Booms spiegelt sich der Ernst der neuen Sparsamkeit so, wenn nicht in den Preisen, wenigstens in der Kargheit der Kunst. Alles beim Alten, könnte man denken. Aber andere Preise zeigen, dass die neue Normalität anders aussieht. Da war die „Auffindung des Moses“ von Sir Lawrence Alma-Tadema, den drei Interessenten bei Sotheby’s auf 36 Millionen Dollar steigerten. Der Preis für den süffig gemalten Schinken lag so über allem, was bisher für solche Malerei des 19. Jahrhunderts bezahlt wurde, dass es sich nur um einen gewaltigen Irrtum oder eine Geschmacksrevolution handeln konnte. Vor 50 Jahren hatte ein Händler das Bild wegen des Rahmens gekauft und die Leinwand auf der Straße liegen lassen. Beobachter berichteten, ein Russe, ein Nahostbieter und ein Chinese hätten um das Bild gekämpft – und der Chinese habe gewonnen.

Das sind die Milliardäre, die den Markt nun prägen werden. Groß ist ihre Zahlkraft, noch größer ihre tollkühne Begeisterung, vor allem für die eigene Kunst. Bonhams & Butterfield versteigerten im November eine blauweiße, feine chinesische Schultervase mit Drachendekoration, katalogisierten die Vase als „republikanische Periode“– also eine Kopie – und schätzten auf 15 000 Dollar. Am Ende kostete sie 8,6 Millionen Dollar.

Noch heißer ging es im mit Krempel aller Art vollgestopften Auktionshaus Bainbridge in Ruislip bei London zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von der doppelwandigen Fischvase mit Emailledekoration verbeitet, die, weiß der Kuckuck wie, den Weg aus dem Palast des Qianlong-Kaisers aufs Bücherregal eines kleinbürgerlichen Reihenhauses im Londoner Stadtteil Pinner gefunden hatte. Zwei Dutzend Chinesen und Kunstagenten waren angereist. Ein Pekinger Milliardär ließ 53 Millionen Pfund (63 Millionen Euro oder 82 Millionen Dollar) bezahlen und mit einem Schlag war es das teuerste kunsthandwerkliche Objekt der Auktionsgeschichte. Zwei Wochen davor erst hatte die betagte Sammlerin Alice Cheng in Hongkong den Rekord für chinesisches Porzellan mit 32 Millionen Dollar für eine Mondflasche verdoppelt und als Motto ausgeben: „So lange ich sie liebe, ist sie es wert.“

Das Auktionshaus Sotheby’s hat für 2010 seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahr mit schätzungsweise 4,3 Milliarden Dollar verdoppelt. Christie’s hat mit einem Umsatz von 3,2 Millionen Pfund ein Allzeithoch erreicht – aber nur, weil das Pfund eine schwächere Währung ist. In Dollar liegen sie hinter den Ergebnissen des bisherigen Wunderjahres 2007 zurück.

Andere holen nun allerdings mächtig auf. Das Pekinger Auktionshaus „China Guardian“ setzte im November in nur vier Tagen Kunst für 622 Millionen Dollar um. Als Christie’s ein paar Tage später in Hongkong eine Rekordauktion mit dem Ergebnis von 409 Millionen Dollar abhielt, sprach Christie’s-Chef Steven Murphy von einem „perfekten Sturm“ aus östlicher Nachfrage und westlichem Angebot.

Dieser Sturm treibt Kunst, Luxus und Mode aus westlichen Sammlungen nach Osten. Nicht nur chinesische Vasen, Diamanten und Schmuck. Chinesen kauften auch Alte Meister – darunter ein Aquarell von William Turner – und boten auf Monet. Westliche Händler beginnen, Chagalls und Impressionisten nach Hongkong zu tragen, und Damien Hirsts Schmetterlingsbilder haben ihren besten Markt inzwischen in Asien.

Bei Bordeaux-Weinen sind die Chinesen schon ganz aus dem Häuschen. Ein Weinliebhaber zahlte in Hongkong 233 971 Dollar für eine Flasche Château Lafite, Jahrgang 1869. Wer weiß, was passiert, wenn sie auch bei unserer Kunst auf den Geschmack kommen!

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