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Kultur: Farben der Eisdiele

Das Neue in der Welt: Arbeiten von Frank Nitsche und Yves Netzhammer im Haus am Waldsee

Mitten im Raum steht eine Gedächtnisstütze. Sie erinnert daran, aus welcher Bilderwelt die Malerei von Frank Nitsche entspringt. Getränkedosen türmen sich bis unter die Decke im Haus am Waldsee, bepflastert mit bunten Aufklebern von Fußballerköpfen, Mangafiguren, Wahlsprüchen, Schriftzügen für Cremes und Kampfsport-Studios. Nitsche, 1964 in Görlitz geboren und in der DDR aufgewachsen, sammelt solchen Alltagmüll in seinem Atelier, den Überfluss der Warenwelt. Auf dem Poster, das auf seine Ausstellung „Cocktailhybridconcept“ im Haus am Waldsee hinweist, sitzt der Künstler inmitten dieser Bilderflut, mit der er offensichtlich auch sein Atelier beklebt hat. In Alben klebt er jeden Tag feinsäuberlich Fotos aus Zeitungen, an denen sein Blick hängen geblieben ist. Wenn er anfängt zu malen, zieht er mit dem Lineal Hilfslinien. Und was er dann an Formen und Farben mit dem Pinsel aufträgt, müssen Sedimente dieses Bilderarchivs sein. Kondensierte, visueller Reizüberflutung. Konkret in einem seiner Gemälde wieder erkennen lässt sich nämlich nichts. Auch die Titel sollen keine Anhaltspunkte liefern. Der Künstler nummeriert seine Bilder einfach durch.

Frank Nitsche abstrahiert. Er schiebt Schwünge und Bögen, Formen und Linien zu graphischen Gebilden zusammen. Er schichtet und verdichtet. Seine Malerei ist präzise, klar. Und doch fallen kleine Spritzer auf, Tropfen, Borstenstriche, Stellen, an denen die ruhige Hand den Pinsel absetzten musste. Farbschichten schimmern durch. Manche geometrischen Figuren belässt Nitsche flächig, andere staffelt er dreidimensional nach hinten, schafft architektonische Räume. Viele Motive erinnern an geschwungenes Chrom aus den fünfziger Jahren, vor allem in Kombination mit den pastelligen Eisdielenfarben, die Nitsche manchmal verwendet. Rosa, Gelb, Apricot. In den neuesten Werken von 2010, die noch nach frischer Farbe riechen, platziert er große Kreise in Schwarz und dunklem Grau. So, als würde er einen Stöpsel auf das bunte Rauschen unseres Bilderkonsums stecken. Endlich. Die Schau mit Leihgaben aus Privatsammlungen, der Galerie Max Hetzler und dem Hamburger Bahnhof zeigt, dass er sich seit zehn Jahren an diesem Thema in immer wieder zarten Varianten abarbeitet. Seine Werke sind im Centre Pompidou in Paris, in der Tate Modern in London oder im Museum für Neue Kunst in Karlsruhe ausgestellt worden. Im Haus am Waldsee bekommt er nun seine erste institutionelle Schau in Berlin. Anstatt sich alleine feiern zu lassen, hat Nitsche vorgeschlagen, den Schweizer Künstler Yves Netzhammer zu beteiligen. Eine kleine Ausnahme für das Ausstellungshaus, das normalerweise international arbeitende Künstler aus Berlin zeigt. Netzhammer lebt in Zürich, 2007 gestaltete er den Schweizer Pavillon auf der Biennale in Venedig. Seine Seelenlandschaften, die er in seinen am Computer animierten Videos erschafft, reagieren auf Nitsches Konstrukte. Nitsche beugt sich der Ordnung der Welt, Netzhammer kreiert eine neue. In seiner Arbeit „Furniture of Proportions“ von 2008 produziert ein Kraftwerk in einem Tropfen Dampf. Ein Schimpanse mit süßen Knopfaugen beißt Menschenfinger ab, die in einem Spiegel verschwinden. Eine glatte Figur ohne Augen und Mund lässt ein Baby fallen, sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, der Boden unter ihren Füßen verschwindet, sie fällt ins Nichts bis sie wiederum aufschlägt neben einer anderen Figur. Jetzt fällt diese ins Bodenlose – und so weiter. Alles ist in Bewegung, alles scheint einem kosmologischen Prinzip zu gehorchen, obwohl es nichts Natürliches mehr gibt in Netzhammers Universum. Alles ist kühl, perfekt. Bäume wachsen aus Geweihen aus Zahlendiagrammen. Die Berge drehen sich im Kreis wie von Hand aufgezogen.

„Wie kommt das Neue in die Welt“, dieses Motto hat sich das Haus am Waldsee nun gegeben. Leiterin Katja Blomberg will ihren Besuchern verstärkt zeigen, dass Künstler „nicht Freizeitgestalter sind“, wie sie sagt, sondern sich auf Augenhöhe mit anderen Welterklärern befinden, mit Wissenschaftlern. Deshalb soll es zukünftig Gespräche mit Künstlern und Forschern geben. Frank Nitsche ist einer, der seinen Stoff aus der Gegenwart bezieht, der ohne Wertung mit den Massenmedien spielt – allerdings auf eine so subjektive, so unterbewusste Weise, dass seine Bilder keinerlei Sendungsbedürfnis haben. Sie sind ein Kommentar zur Welt, keine Erklärung. „Unsere Künstler müssen das neue Motto nicht illustrieren“, betont Katja Blomberg. Nitsches großformatigen Ölbilder sind vor allem ein ästhetisches Vergnügen – und das im besten Sinne.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 14. November, Di-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr. Katalog 16,80 €

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