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Safe Sex. Stefan Kurt und Brigitte Hobmeier in Nicolas Liautards Inszenierung von „Meine Bienen. Eine Schneise“. Foto: dapd

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Kultur: Faust im Bauch

Händl Klaus beschließt die Schauspielsaison der Salzburger Festspiele.

Worte knirschen mal wie Sandkörner zwischen ihren Zähnen, mal bröckeln sie aus ihren Mündern und purzeln echoreich in die verkarsteten Seelenlandschaften einer unwirtlich gewordenen Welt. Gegenseitig nehmen sie sich die Worte aus dem Mund, stopfen einander das Maul und schlingen sich Wortkaskaden um die Hälse, bis ihnen die Luft wegbleibt. Zwischen ihnen – Mann und Frau im lauernden Belagerungszustand – steht der kleine Junge auf verbrannter Erde, an einen verkohlten Baumstamm gelehnt. Dort, wo die Metaphorik in handfesten Naturalismus umschlägt: „Ich bin ein Feind dieser Natur und sehe mit Vergnügen, dass sie schwer beschädigt ist“, sagt er und rammt der Mutter die geballte Faust in den Bauch. Dem versteinerten Abbild einer antiken Furie gleich schwebt deren gespreizte Hand drohend über dem Kopf des kleinen Lukas.

Zwischen groteskem Witz und unheimlicher Rätselhaftigkeit, zwischen Krimi und Familientragödie changiert das jüngste Sprachkunststück des 43-jährigen österreichischen Dramatikers Händl Klaus, „Meine Bienen. Eine Schneise“. Ein „apokalyptisches Gedicht“ nennt es Regisseur Nicolas Liautard wegen seiner metaphorischen Offenheit. Er hat das Drama der verstörten Identität soeben im Landestheater bei den Salzburger Festspielen zur Uraufführung gebracht. In Starbesetzung mit Brigitte Hobmeier als Mutter Kathrin, Stefan Kurt als Kriminalinspektor Peter, André Jung als Wanderimker Wim und dem Wiltener Sängerknaben Michael (der im Programmbuch schändlicherweise ohne Nachnamen angeführt wird) als Knabe Lukas. Ein Kammerspiel für vier Personen um einen rätselhaften Waldbrand, der 14 Bienenstöcke vernichtete, und um die Suche eines Knaben nach seinem Vater, das Händl Klaus als „Musikstück“ in Zusammenarbeit mit der Osttiroler Musicbanda Franui entwickelte.

Das wird zum Verhängnis für das sprachlich fein gewobene Stück. Worin ein Geflecht fragmentarisierten Sprechens sich zu einer vieldeutigen, hochmusikalischen Sprachpartitur amalgamiert, der bislang wohl abstraktesten unter den stets verrätselten Texten des Tiroler Dramatikers. Doch „Meine Bienen“ gerät in der musikalischen Gestaltung der zehnköpfigen Volksmusikkapelle Franui unter der Leitung von Andreas Schett zu einem pathetischen Singspiel zwischen Alpenlandfolklore und Hollywoodfilmmusikkitsch, dem zudem der handwerkliche Schliff fehlt. Als klassisches Kammerorchester durch Harfe, Zither, Hackbrett, Akkordeon und Saxofon erweitert, verarbeiten Franui selten gespielte Jugendlieder Alban Bergs im Kolorit romantischer Schubert-Tradition zu dick aufgetragenen Klangflächen, die die fein rhythmisierte Sprachmelodie des Textes zum Verstummen bringen.

Anstatt eine Atmosphäre schwebender Vieldeutigkeit zu schaffen, setzt der 1967 in Marseille geborene Regisseur Nicolas Liautard auf die holzschnittartige Figurenzeichnung mittels großer Gesten. Im roséfarbigen Sommerkleid (Kostüme: Marie Odin) liegt Brigitte Hobmeier wie zum Sonnenbad ausgestreckt auf einem kohlgrauen Stein inmitten einer aschweißen Lichtung. Sie spielt mit den Handschellen des Kommissars, wirft ihm Schmachtblicke zu, um schließlich mit aufgerissenem Mund zu erstarren, als sie in André Jungs Wim den eigenen Vater erkennt. In blauer Arbeitshose und kariertem Hemd gibt er den bodenständigen Menschenhasser als Antipoden zu Stefan Kurts fahrig-feigem Polizeibeamten. Zwischen Passagen staccatoartig geschliffener Dialoge, Sprechgesang und pathetischer Überzeichnung arrangiert Liautard sein Quartett zu einem sich selbst überlassenen Grüppchen phasenweise desorientiert wirkender Schauspieler, begleitet vom strahlenden Schöngesang des Knabensoprans.

Allein die rätselhaft durchscheinende Bühnenrückwand (Bühne: Giulio Lichtner und Nicolas Liautard), die in ihren verschieden aufleuchtenden Grautönen an die Landschaften eines Anselm Kiefer erinnert, lässt erahnen, wie sehr durch präzise Sprachgestaltung und einen lakonischen Ton die verbrannte äußere und innere Natur zu sich selbst hätte finden können: im Ringen um gelungene Kommunikation im Kontrast zum sozial autoritären Gefüge eines Bienenstaats.

Dieser Abend bildet den quälenden Abschluss einer enttäuschenden ersten Schauspielsaison unter Direktor Sven Eric Bechtolf bei den Salzburger Festspielen, die mit Ausnahme von Andrea Breths gelungener Kleist-Inszenierung von inhaltlicher Oberflächlichkeit geprägt war. Der Flop mit Händl Klaus fügte sich nahtlos in eine Reihe misslungener Premieren wie Irina Brooks dröger Rock-Musical- Version von Ibsens „Peer Gynt“ oder der Petitesse von Raimunds „Der Bauer als Millionär“ als Puppenspiel von Thalias Kompagnons aus Nürnberg. Eine Dramaturgie der Beliebigkeit, die nur eines verbindet: der Hang zum Dilettantismus.

Christina Kaindl-Hönig

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