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Helga M. Nowak. Foto: Renate von Mangoldt/dpa

© picture-alliance / dpa/dpaweb

Kultur: Federloser Vogel

Einen „Klumpen Hoffnung“ zog sie immer hinter sich her: Zum Tod der Dichterin Helga M. Novak.

Egal, wo sich Helga M. Novak gerade aufhielt, ob erwünscht oder unerwünscht in der DDR, die sie als erste Schriftstellerin ausbürgerte, ob in der Hausbesetzerszene des Frankfurter Westends, auf Island, Sizilien oder fast zwanzig Jahre lang in polnischen Wäldern: Ihr lakonischer Optimismus verließ sie nie, unverdrossen zog sie den „Klumpen Hoffnung“ hinter sich her. Er wahrte die Balance zu den unzähligen autobiografischen Bitterstoffen in ihrem Werk. Dieses kann als schroffe poetische Heimatkunde und unversöhnlicher Rechenschaftsbericht sich selbst gegenüber verstanden werden.

An Heiligabend ist Helga M. Novak nach langer Krankheit in Rüdersdorf bei Berlin gestorben. Wie kam es dazu, dass eine der bedeutendsten deutschen Poetinnen zeitlebens eine kräftezehrende Existenz als immer aufs Neue fernwehkranke fahrende Sängerin führte? Warum kehrte sie trotz schlimmer Erfahrungen zweimal in die DDR zurück? Das Buch „Im Schwanenhals“, das zum Vermächtnis wurde, der Abschluss einer autobiografischen Trilogie, macht ihre Beweggründe plausibler. In „Die Eisheiligen“ von 1979, setzte sich die 1935 in Köpenick geborene Autorin mit ihrer Kindheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit auseinander sowie mit den Adoptiveltern Karl und „Kaltesophie“. Mit drei Tagen wurde Novak von ihrer Mutter in ein Kinderheim weggegeben. Ihr Vater nahm sich 1937 das Leben. In dem Gedicht „Keine Mutter nährte mich“ heißt es: „Heimat und Landstrich längst verloren / ganz ohne Vater immer schon / der sprengte seinen Kopf beizeiten / mit einem Schuss so bin ich frank und frei“. Das steht leitmotivisch für ihre Wahrhaftigkeit und gelebte weibliche Autonomie. Die erschütternden Verlusterfahrungen der Kindheit dürften dazu beigetragen haben, dass Novak die frühe DDR als ihre sozialistische Ersatzfamilie betrachtete, wie sie es in „Vogel federlos“ von 1982 beschreibt. Ihren erstem Lyrikband „ostdeutsch“ publizierte sie 1963 in Reykjavik. Dorthin war sie 1957 geraten. Die Studentin am Leipziger „Roten Kloster“, der journalistischen Kaderschmiede der DDR, sollte isländische Gaststudenten für die Stasi ausspionieren, was sie diesen sofort schockiert berichtete. Monate zuvor hatte sie leichtfertig eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Als es zum öffentlichen Eklat kam, flüchtete sie mit einem isländischen Kommilitonen in dessen Heimat. „Islandschiff“ nannte sie scherzhaft die befreundete Dichterin Sarah Kirsch.

1965 begann Helga M. Novak ein zweites Studium am Literaturinstitut Johannes R. Becher, parallel debütierte sie mit der „Ballade von der reisenden Anna“ bei Luchterhand in Neuwied, wo sie in Elisabeth Borchers eine ideale Lektorin fand. Durch ihre Beziehung mit dem Regimekritiker Robert Havemann eckte sie in der DDR erneut an und wurde 1966 ausgebürgert. Als Ehefrau eines Isländers erlangte Maria Karlsdottir, wie sie offiziell hieß, die isländische Staatsbürgerschaft. Sie las bei der Gruppe 47 in Princeton, doch mied sie später den Literaturbetrieb, dem sie die nötige Kontemplation für Lyrik absprach.

„Wie Abreise und Heimkehr überleben und deren Wiederholbarkeit?“, lautet in dem Prosaband „Aufenthalt in einem irren Haus“ eine Frage. Auf diese fand Novak zeitlebens keine Antwort. Nur den Bäumen war sie „treu wie ein Hund“. In ihrem wunderbaren Buch „Silvatica“ ist sie als Jagdgöttin Artemis zu erleben, als Meisterin einer herben Erotik in Jägerlatein: „Hab keine sieben Jahre mehr / für eine neue Jungfernhaut / kann nicht mehr warten / komm her“. Zuletzt wohnte Novak in Erkner bei Berlin, wurde dort sogar Ehrenbürgerin. Das ist nicht zuletzt dem Engagement des Schöffling-Verlags zu verdanken, der ihr Werk hervorragend betreut, darunter mit Anthologien, die von jüngeren Dichterkollegen wie Michael Lentz und Silke Scheuermann herausgegeben wurden. Direkt, unverstellt, widerständig – Helga M. Novaks Ton, ob in der Prosa oder im Gedicht, wird bleiben. Katrin Hillgruber

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