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Kultur: Feines Stück zum fiesen Abschied

Saisonbeginn in Frankfurt: Das Schauspiel sucht weiter sein Glück, das Ballett gibt sich locker

Von Ruth Fühner

Vor einem Jahr startete die Frankfurter Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger mit Peter Greenaways Judenvernichtungs-Spektakel „92 gold bars in a crashed car“. Und es war, bei aller Pein im Inhaltlichen, doch ein Versprechen – das Theater als Wundertüte, aus dem die Intendantin Sterne regnen lassen würde.

Diese Saison eröffnete sie mit „Hamlet“ in der Inszenierung von Anselm Weber, und von Versprechen keine Spur. Statt dessen Szenen wie aus einer Parteizentrale der SPD. Auch dort muss es wohl, wie hier auf der Bühne, irgendwo eine riesige glänzende Black Box geben, in die man vorn etwas hineinsteckt, und hinten kommt etwas ganz anderes heraus. So geht es zwar auch Shakespeares Intriganten, aber mehr als ein hübscher Regieeinfall ist das nicht. König Claudius: ein gut geöltes Maschinchen zum Abspulen perfekt memorierter Ghostwriter-Texte, das Mienenspiel ein Abklatsch der Kanzler-Bonhomie. Rosenkranz und Güldenstern – ein Sparkassenangestellter und ein Studienrat. Und Hamlet? Ein Beerdigungsunternehmer, zumindest am Anfang.

Aber auch im Weiteren gelingt es Guntram Brattia nicht, die Figur des Prinzen zu seiner eigenen zu machen. Da sind einige Verschleppungen im berühmten Sein-odernicht-sein-Monolog, die sich interessant geben, da ist eine rebellisch vorgekippte Hüfte oder auch eine elegante Fechtszene. Doch es dauert lang, zu lang, bis der Eindruck entsteht: Da spricht einer von sich. Wirklich da und bei sich, ein unverrückbares Urgestein auf dem Parkettlaminat der Bühne ist nur der wunderbare Norbert Schwientek als Totengräber – überlebensgroß in einer viel zu kleinen Rolle.

Dem Spielzeitauftakt im Schauspiel gingen – am TAT und im Ballett – zwei weitere voraus, die in Wirklichkeit Abschiede waren. Muss Elisabeth Schweeger, wie der neue Opern-Intendant Bernd Loebe, „nur“ um ihren künstlerischen Etat bangen, so haben die Frankfurter Sparkommissare den beiden anderen den Garaus gemacht und damit, vor allem was das Ballett angeht, ihren kulturpolitischen Bankrott erklärt. Zum letzten Mal also inszenierte Tom Kühnel im Bockenheimer Depot – Nikolai Erdmans „Der Selbstmörder“. Eine grob gestrickte (russische) Farce mit einem leuchtenden Mittelpunkt: Christian Nickel. „Der Selbstmörder“ entpuppte sich als durch und durch antiheroischer und damit passender Schlussstein dieser Ära: Der (inszenierte) Versuch eines Schauspielers, den Kulturpolitikern der Stadt den Spiegel in Form einer Chronik der bodenlosen Ereignisse vorzuhalten, wurde von den anderen einfach beiseite gewischt. Der Abend klang aus mit einem nicht endlosen Potpourri aus westdeutschen Schlagern und ostdeutschen Propagandaliedern – ein Abschied, so sympathisch wie ratlos.

Ganz anders die Stimmung im Ballett. Zwischen zwei ältere Elegien – „Hypothetical Stream“ und „Of any if and“ – hatte William Forsythe eine seiner letzten Frankfurter Uraufführungen eingebettet. Leichtfüssig, fast frivol tritt „33/3“ jenen unter seinen Wegeklern und Kritikern entgegen, die behaupteten, er trete künstlerisch auf der Stelle. Es ist ein frisches, jugendliches Stück, ein Stückchen fast, frech, witzig und eklektisch. Am Anfang eine Art Chorus-Line-Atmosphäre, Aufwärmen oder Vortanzen im ganz an den vorderen Bühnenrand gedrängten Probensaal, intim, privat, scheinbar improvisiert, so wie auch die romantische Sopransaxophonmusik von Thom Willems trügerisch improvisiert klingt.

Einer hat einen Schal um den Hals und steppt, ein anderer liest am Mikrofon Szenenanweisungen vor, etwa „Sequences of confusion“. Wie so oft bei Forsythe spielt auch hier wieder die Sprache mit. Erst langsam schälen sich jene Forsythe-typischen, dezentrierten Bewegungen heraus, die er in seinen beiden Frankfurter Jahrzehnten zu einer einzigartigen Ballettsprache ausgearbeitet hat. An ein Stück aus seinen Anfängen, an das Musical „Isabelles Dance“, erinnert diese neue Arbeit, wenn sie auch weniger bunt und hysterisch daherkommt und bei weitem nicht so ausladend. Und so erscheint „33/3“, der Auftakt zum langen Abschied im Jahr 2004, wie die Lockerungsübung eines Künstlers, der seine Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt hat und seine Muskeln aufwärmt zum nächsten großen Sprung.

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