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Das Sickert-Plakat zu Wim Wenders „Der amerikanische Freund“ mit Dennis Hopper (l.).

© Wim Wenders Stiftung

Ausstellung: Filmplakate: Fenster zum Film

Margrit und Peter Sickert haben mit ihren Plakaten eine eigene Kunstform geprägt. Eine AUSSTELLUNG zeigt jetzt 50 davon. Der Besuch, abseits des Berlinale-Rummels, lohnt.

Die Sickerts sind konziliante Leute. Herzen liebevoll ihre Bekannten. Begrüßen Honoratioren wie Dieter Kosslick und Moritz Rinke, die zur Eröffnung der Ausstellung ins Haus der Berliner Festspiele gekommen sind. Beantworten jede Frage der Besucher zu den 50 Filmplakaten, die hier während der Berlinale gezeigt werden. Umso lauter fällt ihr Schweigen zu der einen, gänzlich unumgänglichen Frage aus: Wie gefällt den Grafikern, die über drei Jahrzehnte mit ihren Plakaten dem deutschen Kino ein modernes, prägnantes Gesicht gegeben haben, das diesjährige Berlinale-Plakat? Diese überall plakatierte, einen Vorhang imitierende, digital gewebte bunte Flattergardine auf kontrastierendem Grund? Margrit Sickert prustet los. „Kein Kommentar.“ Drüben steht Duz-Freund Dieter, der muss ja wissen, was er bestellt. In ihrem Repertoire jedenfalls gebe es dergleichen nicht, formuliert Peter Sickert diplomatisch. Was man an den ringsum mit 50 Werken behängten Wänden leicht überprüfen kann. Es ist eine Auswahl aus den vielen hundert Filmplakaten, die Margrit und Peter Sickert von den 60er bis in die 90er Jahre für deutsche und internationale Filmproduktionen gestaltet haben.

Akira Kurosawa und sein meisterhaftes Epos

An der Stirnseite eines Ausstellungsraumes prangen flammend rote japanische Schriftzeichen: das Plakat zu „Ran“, Akira Kurosawas meisterhaftem Geschichtsepos. Daneben hält sich Kurt Russell als Snake Plissken in John Carpenters „Klapperschlange“ an seiner Knarre fest. Ein düsteres, zurückhaltendes Action-Plakat. In Schwarzweiß- und Grautönen wirbt daneben ein anderes für den Nouvelle-Vague-Klassiker „Außer Atem“. Die obere Hälfte füllt ein Filmstill – Jean Seberg im Badezimmerspiegel, daneben im angeschnittenen Profil mit qualmender Fluppe Jean-Paul Belmondo. Darunter groß Schauspielernamen und Titel, mittig dazwischen über die ganze Papierbreite in Versalien ohne Serifen GODARD. Ein Name wie ein Stempel, ein Brandzeichen, von absolut schlagkräftiger, grafischer Klarheit.

Plakativ aus Leidenschaft: Margrit (r.) und Peter Sickert

© Sven Darmer/DAVIDS

An den Wänden, die dem Neuen Deutschen Kino vorbehalten sind, findet sich das häufig wieder. Gepaart mit kunstfilmhaftem Purismus, typografischer Vielfalt, einer in mehrere Motive für einen Film mündenden Experimentierlust und großen Einfällen wie der im Edward-Hopper-Stil illustrierten Verlorenheitsszene zu Fassbinders „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“ – eine Arbeit, die zwischen den Kluges, Schlöndorffs, Staudtes, Hauffs, Bohms hervorsticht. Brigitte Mira, Karlheinz Böhm und Ingrid Caven in einem in Beige und Hellblau getauchten Raum, eng beieinander und doch jeder entsetzlich allein. „Wir versuchen immer, das Gefühl eines Films darzustellen“, sagt Margrit Sickert, „erzählen kann ihn ein Plakat sowieso nicht.“ Aber vielleicht die Wirkung beeinflussen? Auf der Berlinale 1975 löste die Tragödie einer Witwe, deren Mann aus Wut über Massenentlassungen seinen Chef tötet, jedenfalls heftige Tumulte aus.

Dieter Kosslick: Plakate ergänzen die Dramaturgie des Films

Dass ein gutes Plakat für sich stehen, auch ohne Kenntnis des Films funktionieren und sich in der Öffentlichkeit visuell durchsetzen muss, davon sind die Sickerts überzeugt. Schließlich sind sie Werber, wenn auch für kulturell wertvolles Gut. Oder wie Dieter Kosslick in seiner Laudatio sagt: Gute Filmplakate ergänzten kontrapunktisch die Dramaturgie eines Films. „Die Sickerts verdichten und interpretieren, sie sind keine Dienstleister, sondern Autoren – wie sich das im deutschen Autorenkino gehört.“ Als Grafiker hätten sie den Mief und die Verlogenheit der Nachkriegszeit mit dem Neuen Deutschen Kino hinweggespült. Mit dem Oberhausener Manifest, dem Aufbruch des rauen, ehrlichen Kinos hatte auch Opas Plakatkitsch ausgedient. Und die Cineasten, die sich an Vorbildern wie Hans Hillmann, Werner Engelmann oder dem amerikanischen „Rolling Stone“ orientierten, lieferten dafür die Aushängeschilder. Oder – wie Margrit Sickert sagt – das Fenster zum Film.

Auch später, als die politischen 60er vorüber sind. Für Edgar Reitz bebildern die Sickerts „Heimat“, für Uli Edel „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, für Werner Schroeter „Malina“. Immer individuell, nie Schablone, mit den Mitteln Fotografie, Collage, Illustration, Typografie. Den einen Sickert-Stil gibt es nicht. Vielen Regisseuren war das halb in München, halb auf Lanzarote ansässige Kreativteam Jahrzehnte verbunden. Wim Wenders etwa, der den Filmwerbern bescheinigt, mit ihrer Arbeit „ein biederes Handwerk zur hohen Kunst“ erhoben zu haben. Oder Bernd Eichinger, der gesagt hat, dass sie so unverbrüchlich zum deutschen Film gehören wie Herzog, Fassbinder oder eben Wenders.

Ins Auto gesetzt: Dennis Hopper und Bruno Ganz

Die Illustration für dessen Patricia- Highsmith-Verfilmung „Der amerikanische Freund“ ist eine ebenfalls Edward- Hopper-Szenen zitierende Ikone, die freudig klischiert. Die Szene mit Dennis Hopper im Auto und Bruno Ganz daran angelehnt – die gibt es im Film gar nicht, erzählt Peter Sickert. Die nächtliche Atmosphäre einer amerikanischen Stadt hat er einfach aus Martin Scorseses „Mean Streets“ übernommen.“ Ach ja? Fällt gar nicht auf, obwohl der Sickert- Entwurf für Scorsese gleich daneben hängt. Was wohl Dennis Hopper da am Ohr hat? 1977 gab’s doch noch gar keine Handys. O-Ton Peter Sickert: „Wir waren unserer Zeit eben immer schon voraus.“ Nein, kann doch nicht sein. Er grinst. „Es ist ein Radio.“

Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, bis 15. Februar, tgl. 10-16 Uhr

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