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Kultur: Fern und nah

Astrid Geisler und Christoph Schultheis über den rechtsextremen Alltag in Deutschland.

Ines Schreiber scheint eine sympathische Frau zu sein. Sie grüßt ihre Mitbürger immer freundlich, sie kann zuhören, wenn es Probleme gibt, sie engagiert sich an der Schule ihrer sechs und acht Jahre alten Söhne Siegfried und Heinrich. Ja, sie stört sich an einer unfallträchtigen Verkehrskreuzung in ihrem Wohnort, der sächsischen 4000-Einwohner-Gemeinde Strehla, setzt sich für den Umweltschutz ein und prangert jugendlichen Vandalismus an.

Alles andere als sympathisch ist jedoch die Partei, in der die 36-Jährige und ihr Mann Mitglieder sind: die NPD. Insofern lässt sie ihre Söhne zu Hause schon mal Hakenkreuze zeichnen oder äußert sich zu Verbindungen zwischen Deutschen und Menschen aus anderen Teilen der Welt so: „Mein Gefühl sagt mir, dass die Menschen nicht mehr so widerstandsfähig sind, wenn sich das so mischt.“ Gesagt hat Schreiber das den Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis, die sich mit der NPD-Frau in Strehla getroffen haben.

„Es gibt längst Orte“, schreiben Geisler und Schultheis, „in denen Neonazis als anständig gelten, in denen sie für die Mehrheit zum Straßenbild gehören.“ Orte wie Strehla oder das benachbarte Riesa, wo Ines Schreiber Schöffin am Amtsgericht ist, und wie Halberstadt in Sachsen-Anhalt, wo es laut Polizei „eine feste rechte Szene“ gibt, oder wie das 380-Einwohner-Dorf Bargischow in Ostvorpommern, nicht weit von Anklam gelegen, wo die NPD bei der Landtagswahl 2006 über 30 Prozent der Stimmen einfuhr. Und vielleicht auch ein Ort wie Zwickau, wo das Neonazi-Mördertrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe viele Jahre unerkannt und unauffällig lebte.

Dieses Trio, dessen Taten und vor allem auch dessen Verbindungen das Thema Rechtsradikalismus wieder ganz oben auf der öffentlichen Agenda platziert haben, kommt in „Heile Welten“ nicht vor, wie übrigens auch die heftige Debatte um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ – Schultheis und Geisler beendeten die Recherchen für ihr äußerst lesbares und angenehm unaufgeregt geschriebenes Buch Ende 2010. Weshalb es sich wie eine vorweggenommene Zusammenfassung von dem liest, was im Zuge der Recherchen über das rechtsradikale Mördertrio offenbar wurde. Es gibt einen rechten Alltag in Deutschland, ein rechtes Alltagsleben, und gerade im Osten der Republik hat rechtsextreme Politik „tatsächlich eine stärkere Resonanz und eine größere Akzeptanz“, wie die Autoren schreiben und vielfach zu belegen wissen.

Doch auch im Westen sind beide problemlos fündig geworden. Zum Beispiel in Köln. Hier haben sie sich mit dem Gründer der islamfeindlichen Internetzeitung „Politically Incorrect“ unterhalten, Stefan Herre, sowie einem Funktionär der stark rechts gerichteten „Bürgerbewegung pro Köln e.V.“, Jörg Uckermann. Oder in einem westdeutschen Provinzstädtchen, das sie nur als „Schönstadt“ bezeichnen, weil ihre Gesprächspartnerin, eine Unternehmergattin, das aus Gründen des Persönlichkeitschutzes so wollte. Die Frau hat den Journalisten die Geschichte ihres Sohnes erzählt, der zum Neonazi wurde und wegen eines Brandanschlages auf einen türkischen Obst- und Gemüsehändlers fast anderthalb Jahre im Gefängnis saß.

Das rechte Alltagsleben, das dokumentiert „Heile Welten“ sehr gut, zeigt sich in vielen Facetten. Was umso auffälliger ist, da die Berichterstattung über Rechtsextreme „oftmals gedankenlos, vorschnell und skandalfixiert“ ist, wie die Autoren medienkritisch anmerken, und ihrerseits jederzeit anfällig ist für kalkulierte Skandale etwa seitens der NPD. Schlechte Nachrichten sind auch für diese Partei oftmals besser als gar keine. In einer „irren, kleinen Parallelwelt“ heißen Schultheis und Geisler im Vorwort ihre Leser willkommen. Nach der Lektüre scheint diese Welt gar nicht mehr so klein und in einem völlig anderen Universum gelegen zu sein.







– Astrid Geisler, Christoph Schultheis:
Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland. Hanser Verlag, München 2011. 224 Seiten, 15, 90 Euro.

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