zum Hauptinhalt

Kultur: Fernsehzimmer: Die große Gefahr

Meine sehr verehrten Leserinnen und Leser! Ich danke Ihnen für die vielen ermutigenden Zuschriften zu meiner ersten Kolumne.

Meine sehr verehrten Leserinnen und Leser! Ich danke Ihnen für die vielen ermutigenden Zuschriften zu meiner ersten Kolumne. "Das hat Pep, das zeckt", schreibt Abonnent Igor A. aus Charlottenburg, "endlich mal ein bisschen Frohsinn und Herzensgüte in dieser ach so seriösen Zeitung" bzw. "Chapeau!" rufen mir Ina A. aus Wilmersdorf und Gustav S. aus Prenzlauer Berg (!) zu. Ihre aufmunternden Worte bleiben mir auch künftig Verpflichtung und Richtmaß.

Aber wenn nun einige von Ihnen glauben sollten, unter meiner Ägide (weiß eigentlich irgend jemand, was Ägide bedeutet und woher es kommt, etymologisch?) würde in dieser Kolumne so rumgeplaudert übers Fernsehen, dit un dat, dann haben die sich schwer getäuscht. Ich habe zwar versprochen, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, "prodesse et delectare" in durchaus Horazschem Geiste - aber Unaufmerksamkeit und Flegelhaftigkeit werde ich keinesfalls dulden. Interaktiver Echtzeitjournalismus mit subsidiärer Publikumsbeteiligung ist nämlich keine Einbahnstraße und bedeutet logischerweise, dass sich der Leser dementsprechend verhält - oder er fliegt raus! Um eines von Anfang an klarzustellen: alberne Zwischenrufe, Rascheln und Störversuche werde ich nicht hinnehmen. Wer sich jedoch anständig benimmt, hat nichts zu befürchten - aber eine Welt zu gewinnen: die kleine, große Welt eines liebevoll ausgestalteten Fernsehzimmers.

Die Pisa-Studie hat es schmerzhaft ans Licht gebracht: Medienerziehung findet in Deutschland kaum noch statt (wobei die Dunkelziffer höchstwahrscheinlich sogar höher als erwartet liegt). Von Reflexivität, Re-entry und Hermeneutik im Sinne Gadamers ist in Kreuzberger Schulstuben schon seit langem keine Rede mehr. Die "Glotze" bleibt zwar während des Unterrichts zumeist ausgeschaltet, aber der verantwortungsvolle Umgang mit ihr wird nicht eingeübt. Dabei wissen alle Fachkundigen, dass in Zeiten der Globalisierung aktive TV-Analyse und nachhaltige Medienkritik eine Frage menschlichen Überlebens geworden ist.

Ich bin nämlich der Auffassung, dass das Fernsehen für verschiedene Sphären der kulturellen Produktion, für Kunst, Literatur, Wissenschaft, Philosophie und Recht eine sehr große Gefahr bedeutet; ich meine sogar, dass es in Gegensatz zu dem, was verantwortungsbewusste Journalisten vermutlich in gutem Glauben denken und sagen, eine nicht weniger große Gefahr für das politische und demokratische Leben darstellt. Ich könnte das leicht nachweisen, wenn ich mir die Behandlung vornähme, die das Fernsehen und in seinem Gefolge die Presse um der Steigerung von Einschaltquoten und Auflagen willen den Urhebern von fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen und Taten angedeihen lassen, oder die Zugeständnisse aufzeigte, die es tagtäglich einer national beschränkten, um nicht zu sagen nationalistischen Auffassung von der Politik macht. Für den Fall, dass ich verdächtigt werde, ausschließlich französische Besonderheiten hochzuspielen, möchte ich auf die tausend pathologischen Züge des amerikanischen Fernsehens verweisen, etwa auf die Behandlung des Prozesses gegen O. J. Simpson in den Medien oder darauf, wie kürzlich ein simpler Fall von Totschlag zum "Sexualverbrechen" aufgebauscht und damit eine ganze Reihe unkontrollierbarer juristischer Konsequenzen ausgelöst wurde.

Stimmt genau, sagen jetzt die einen; nun ist er völlig durchgeknallt, die anderen. Meiner Ansicht nach haben die letzteren recht. Aber die Anti-Fernseh-Tirade des vorigen Absatzes stammt nicht von mir, sondern ist ein Zitat aus dem suhrkamp Band "Über das Fernsehen", den ich studiert habe, um der Kolumne theoretisches Niveau zu verleihen. Der Verfasser ist der berühmte Soziologe Pierre Bourdieu, kürzlich verstorben. Zitiert habe ich diesen apokalyptischen Unfug, den er 1996 von sich gegeben hat, damit wir nicht aus den Augen verlieren, dass es neben dem notorischen Beklagen ständigen Qualitätsverlustes auch einen ewigen Hass aufs Fernsehen als solches gibt und eine akademische Medienkritik, die ahnungsloser und ressentimentgeladener ist als manches Billigprogramm auf RTL 2. Und das ist für uns normale, also schuldbewusste TV-Gucker, die wir uns regelmäßig "Aspekte" ansehen, aber eben auch "ran" und "Rackwitz" und leider gelegentlich Ballermann-Sendungen - eine tröstliche Erkenntnis, niveaumäßig.

Ägide: von lat. aegis, "Schirm, Schutz, Schild", seinerseits entlehnt aus griech. aigis "Schild des Zeus" (eigentlich "Ziegenfell").

Nächstes Mal: Diedrich Diederichsens Musikzim

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false