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Kultur: Fest der Kontinente: Sprechen Sie nach dem Pfeifton

Das Programm ist gewiss gut gemeint. "Berlin-Grenzenlos" heißt die Abschlussnacht.

Das Programm ist gewiss gut gemeint. "Berlin-Grenzenlos" heißt die Abschlussnacht. Die Schirmherrinnen des "Festes der Kontinte", für das Bulgaren, Georgen, Mongolen, Genuesen, Tibetaner, Südafrikaner, zentralafrikanische Pygmäen, Vietnamesen, Südinder und Balinesen dem Hauptstadtpublikum zwei Wochen lang vorgesungen oder vorgetanzt haben, präsentieren - ergänzt durch viele prominente Kolleginnen - "musikalisch-literarische Streifzüge durch das kosmopolitische Berlin der zwanziger Jahre".

Zum Thema Online Spezial: Fest der Kontinente Die Interpretationsstärken der Schauspielerinnen Eva Mattes, Angela Winkler, Hannelore Hoger und Dagmar Manzel sind bekannt. Dennoch wirkt die Vorstellung im Haus der Berliner Festspiele zusammengewürfelt. "Die ganze Heimat und das bisschen Vaterland / die trägt der Emigrant / an seinen Sohlen und in seinem Sacktuch mit sich fort". Walter Mehrings Emigrantenballade aus dem Jahrhundert der Vertreibungen klingt nicht aktuell, sondern melancholisch. Kein Inszenierungsfädchen will hier verbinden; privatisierende Nostalgie und universaler Anspruch klaffen auf seltsame Weise auseinander. "Es wird im Leben / dir mehr genommen als gegeben", singt eindrucksvoll zart Angela Winkler, eine der prominenten Schirmherrinnen des Festes. "Es steht dein Schicksal in den Sternen / es wird geschrieben in den Fernen / und niemals hier." Passt irgendwie zum One-World-Gedanken. Es ist bestimmt nicht bös gemeint, dass nach all den wichtigen deutschsprachigen Künstlerinnen die Südafrikanerin Audrey Motaung erst gegen zwei Uhr morgens antreten kann, vor nahezu leeren Reihen.

Der interkulturelle Dialog gleichberechtigter Partner, das Ziel der vom Hauptstadtkulturfonds und dem Auswärtigen Amt finanzierten Veranstaltungsreihe, kommt daher wie eine Utopie aus solidarischen Weltumarmungszeiten. Man scheint übersehen zu haben: An ihrer Stelle boomt längst die Globalfusion der Popkultur. Verschmelzungsevents à la Love Parade, Karneval der Kulturen oder Christopher Street Day demonstrieren, wie so genannte Minderheiten die Selbstbehauptung und die Vermarktung eigener "Exotik" höchst unterhaltsam verbinden. Der anstrengende Dialog mit dem "Anderen" dagegen wurde zur Floskel, funktioniert oft eher medial um die Ecke: Als kommuniziere jede Seite, distanziert, mit einem Anrufbeantworter.

Multikulti-Profis heute befürchten, dass ihr Interesse nur dem eigenem Authentizitäts-Fetischismus entspringt. Gleichwohl forderte der Ehrenpräsident des Festes der Kontinente, der rumänisch-ungarische Komponist György Ligeti, die Begegnung des Grundverschiedenen. Er verwahrt sich gegen den Synthesewahn der Weltmusik.

Die Konfrontation von Ligeti-Kompositionen mit Gesängen der Aka-Pygmäen war die spektakulärste Darbietung des Festes; doch erinnerte die Art, wie die Afrikaner dabei ethnologisch vorgeführt wurden, durchaus an Völkerschauen. Die Aka selber wiederum können (so fand ein Reporter heraus) mit unserem Mozart, den Beatles oder selbst Ligeti nichts anfangen. Ihre radikal polyphone Musik spiegelt vielmehr den eigenen kollektiven Lebensstil: Sie haben was zu singen und halten zusammen wie, dem Wortsinn nach, ein Kontinent, der ja Grenzen haben muss. Auch Berlin hat Grenzen, glücklicherweise: weil Dialog Grenzerfahrung ist, schrille Töne eingeschlossen. Sprechen Sie nach dem Pfeifton. (Haben Sie was zu sagen?)

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