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Kultur: Festen feiern, wenn sie fallen

Eine Ausstellung in Potsdam zeigt das Posener Kaiserschloss und seine Wandlung von der Trutzburg zum Kulturzentrum

Vor 100 Jahren stand Monumentalität in der Architektur noch nicht unter Generalverdacht. Schließlich stritten auch jene Architekten, die wir Väter der Moderne nennen, für einen adäquaten „neuen deutschen Baustil“. Der konnte mal heimelig, mal monumental ausfallen. Nur über eines waren sich die Herren Architekten, Abteilung Fortschritt, einig: Die offizielle Staatsarchitektur Kaiser Wilhelms II. lehnte man aus Prinzip ab.

Dabei waren die Baumeister des kaiserlichen Vertrauens nicht einmal schlecht. Ernst von Ihne und Franz Schwechten lieferten zwar krachende Pathetik, konnten aber auch ganz anders. Schwechten war durch den Anhalter Bahnhof in Berlin berühmt geworden. Später wandelte sich der Erbauer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche allerdings zum Mann fürs Mittelalter. Mit dem 1905/10 errichteten neoromanischen Kaiserschloss in Posen lieferte er Wilhelm II. eine künstlerisch nur notdürftig kaschierte Machtlegitimation im Osten. Eine Ausstellung im Potsdamer Neuen Palais widmet sich nun diesem Stein gewordenen politischen Muskelspiel erstmals aus deutsch-polnischer Doppelperspektive.

Trutzige Mauern und Türme, christlich-normannische Goldgrundmosaiken, für die Ewigkeit gemeißelte fränkische und staufische Kaiserfiguren behaupteten gegenüber der mehrheitlich polnischen Bevölkerung eine deutsche Tradition an einem Ort, wo es keine gab. Posen, als Hauptstadt Großpolens die Wiege 1000jähriger Geschichte, gehörte erst seit der zweiten polnischen Teilung 1793 zu Preußen. Schlagartig sprach jeder zehnte Untertan des Preußenkönigs polnisch und besuchte die katholische Messe, was die Berliner Zentrale – nach anfänglichen Umarmungsversuchen – zu einer dezidierten Germanisierungspolitik verleitete.

In Posen, der Provinzhauptstadt, manifestierte sich der zum Kampf der Kulturen aufgebauschte Nationalitätenkonflikt auch in der Errichtung eines „deutschen“ Museums, eines „deutschen“ Theaters, einer „deutschen“ Bibliothek. Das Schloss, von den polnischen Posenern als „Zwinguri“ (Zwingburg) empfunden, geriet zum zentralen Symbol preußisch-deutscher „Hebungspolitik“. Zumal es nur einen Monat nach der 500-Jahr-Feier der Schlacht von Tannenberg/Grunwald – 1410 hatte der Polenkönig Wladyslaw II. Jagiello das Heer des Deutschen Ritterordens vernichtend geschlagen – eingeweiht worden ist.

Mittels Architekturgeschichte die ganz große Historie erzählen: Solche Ideologiekritik funktioniert selten, weil selbst Herrschaftsarchitektur eigenen pragmatischen und ästhetischen Gesetzen folgt. Bei der von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und dem Posener Kulturzentrum „Zamek“, das heute den 600-Zimmer-Bau bespielt, gemeinsam konzipierten Schau liegen die Dinge noch komplizierter. Die mentalitätsgeschichtliche Folie deutsch-polnischer Feindschaft, ohne die vieles unverständlich bleibt, lässt sich nicht auf wenigen Quadratmetern entrollen – noch dazu allzu wenigen, wie man bei der gedrängt präsentierten Ausstellung sagen muss. Auch der zweisprachige Katalog bietet nur bedingt Anhaltspunkte. Die kunsthistorisch solide gewichtete Ausstellung leidet an ihrer Bescheidenheit.

Möglicherweise ist das Thema immer noch zu brisant. Denn die deutschnationale Instrumentalisierung der Kaiserpfalz war 1918/19 keineswegs beendet. Noch im September 1939 entschied Adolf Hitler, das erneut besetzte Posen zur Gauhauptstadt sowie das Schloss zu seiner „Führerresidenz“ im Osten umzubauen. Was verwundert, ging Hitler doch, wo immer er konnte, zu den Hohenzollern auf Distanz.

Noch beim Richtfest der Neuen Reichskanzlei hatte der verhinderte Architekt getönt: „Ich bin zu stolz, als dass ich in ehemalige Schlösser hineingehe. Das neue Reich wird sich seine Räume und seine Bauten selber erstellen.“ Nun wurde das Kaiserschloss unter größten ökonomischen Schwierigkeiten bis zum Herbst 1944 – alle anderen Staatsbauten waren 1942 stillgelegt worden – umgebaut und möbliert. In seinem Innern entstand eine noch immer megaloman zu nennende Taschenausgabe der Neuen Reichskanzlei. Wilhelms Schlosskapelle musste Hitlers Arbeitszimmer weichen. Gleichwohl eine makabre Referenz an den Vorgänger: Die kaiserliche „Ostmarkenpolitik“ war in blanken Terror umgeschlagen.

Dass die polnischen Behörden ihrem Impuls, diesen architektonischen Wechselbalg zu schleifen, gleich zweimal, 1919 und 1945/46, widerstanden, gleicht einem Wunder. In der Zwischenkriegszeit bewohnte das Staatsoberhaupt Polens, Marschall Pilsudski, dort eine Suite, um den errungenen Triumph auch symbolisch auszukosten. Bei einer Umfrage der „Gazeta Wyborcza“ vor zwei Jahren zählte das nun gewiss nicht schöne Schloss zu den fünf beliebtesten Bauwerken Posens.

Potsdam, Neues Palais im Park Sanssouci, bis 12. Oktober, Sa bis Do 10-17 Uhr. Zweisprachiger Katalog 16 €. – Ferner empfehlenswert: Heinrich Schwendemann/Wolfgang Dietsche, Hitlers Schloss. Die „Führerresidenz“ in Posen. Ch. Links Verlag, Berlin 2003, 200 S., Abb., 34,80 €.

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