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Spielplatz Manhatten. Ein Kind im mobilen Raumlabor „The Spacebuster“.

© Andrew Kelly/Reuters

Festival of Ideas for the New City: Bienen haben kein Ego

Autos raus, Würmer rein: Ein New Yorker Festival sucht urbanistische Zukunftsmodelle. Unter der Schirmherrschaft des "New Museum" für zeitgenössische Kunst präsentierten Enthusiasten, Architekturbüros und Künstler ihre städtischen Entwicklungsperspektiven.

Den Überblick hat hier nur einer: der Bienen-Doktor. Chris Harp ist Profi-Imker und unterstützt New Yorker Hobby-Imker bei der Pflege von Bienenstöcken auf brachliegenden Hochhausdächern. Die Stadtverwaltung hat diese Form von urbaner Selbstversorgung kürzlich legalisiert, seitdem darf Harp ganz offiziell die Schwärme stadtmüder Städter verarzten. Berufsbedingt betrachtet der Bienen-Doktor New York vor allem aus der Dachperspektive, und von da oben sieht er mitunter Dinge, die man von unten nicht so leicht erkennt. „Menschenstädte und Bienenstädte ähneln sich im Aufbau“, sagt Harp. „Aber es gibt einen zentralen Unterschied. Bienen haben kein Ego. Menschen schon.“

Willkommen beim „Festival of Ideas for the New City“, einer fünftägigen, am Montag beendeten Marathon-Urbaniade im New Yorker East Village. Konzipiert wahlweise als Konkurrenz oder Ergänzung zu ähnlich gelagerten Foren wie der Biennale in Venedig oder den in wechselnden Städten stattfindenden Urban-Age-Konferenzen, setzt man in New York auf größtmögliche Programmdiversität. Während sich in den Konferenzsälen rund um die Bowery die intellektuellen Größen des internationalen Urbanistik-Diskurses die Klinke in die Hand gaben, versammelte das parallel stattfindende Straßenfest lokale Enthusiasten wie den Bienen-Doktor, die auf Graswurzelebene an der Perfektionierung urbaner Lebensräume werkeln. Unter der Schirmherrschaft des „New Museum“ für zeitgenössische Kunst präsentierten zusätzlich Dutzende von Architekturbüros und Künstlern ihre eigenen städtischen Entwicklungsperspektiven.

Im Debattenteil formulierte der Architekt Rem Koolhaas am Eröffnungsabend einen utopischen Wunsch. Er sehne sich, erklärte der Niederländer, nach der Stadt, der er als Architekt gegenübertreten und sagen könne: „Meine Arbeit hat sich erledigt – lasst alles, wie es ist!“ Natürlich folgte keiner der nachrückenden Diskutanten dieser städtischen Stillstandsvision – die Schlagwörter der Debatte hießen Wandel, Reform, Eingriff, Korrektur. Antanas Mockus etwa, ehemaliger Bürgermeister der einstigen Gewaltmetropole Bogotá, schilderte, wie er in Kolumbiens Hauptstadt die Mordrate um 70 Prozent und die Zahl der Verkehrstoten um 50 Prozent senkte – nicht mit Nulltoleranzpolitik wie einst in New York, sondern mit humoristischen Interventionen wie dem Einsatz von Clowns als Verkehrspolizisten.

In solchen Momenten waren sich Saal und Straße nahe. Während drinnen gedacht und – seltener – gelacht wurde, verwandelten sich drei Straßenzüge des East Village einen ganzen Samstag lang in ein gut besuchtes Mitmachcamp urbaner Revolutionsansätze. Während der Bienen-Doktor Chris Harp seine honigsüßen Ratschläge verteilt, stecken am Nachbarstand drei junge Frauen bis zu den Armbeugen in Küchenabfällen. „Hug a worm!“ steht auf ihren T-Shirts: Knuddel einen Wurm. „Wir wollen das Bewusstsein für die reinigende Kraft der Heimkompostierung stärken“, erklären sie mit einigem Ernst. „In jede New Yorker Küche gehören Würmer!“ Derweil will ein Biologiestudent die Dächer der städtischen Busse und Taxis mit robusten Kakteen begrünen. Minutenlang bombardiert der junge Mann seine Zuhörer mit schwerem Diskurskaliber: Florale Mobilisierung! Guerilla-Gärten! Lasst uns Stachel ins Fleisch des Kapitalismus treiben! „But what’s the point?“, fragt zweifelnd ein älterer Herr. Der Kaktusgärtner zuckt lächelnd mit den Schultern: „It’s fun.“

Auch jenseits rollender Kakteen war Mobilität eines der Kernthemen des Festivals, nicht ganz zufällig. Der deutsche Autobauer Audi war als Hauptsponsor des Festivals in vielfältiger Form präsent. Beim Straßenfest etwa schickte der Ingolstädter Konzern zwei junge Leute aus der eigenen Entwicklungsabteilung in einen aufblasbaren Konferenzraum, wo die beiden sich vor breitem Publikum von diversen brachialmarxistischen Urbanitätsvordenkern attackieren lassen durften, denen das Auto als Grundübel der Städte gilt. Man muss das wohl mutig nennen.

Oder vorausschauend. Denn zunehmend mutiert das Auto in der öffentlichen Wahrnehmung vom präferierten urbanen Fortbewegungsmittel zum städtischen Störfaktor – was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass BMW derzeit mit dem „Guggenheim Lab“ an einem ähnlich gelagerten Debattenforum feilt wie Audi mit seinem New Yorker Engagement. Städte rund um den Globus versuchen, das Auto aus ihrer Mitte zu verbannen. Längst sind also Autobauer nur mehr die Getriebenen einer Entwicklung, als deren Motor sie sich gerne der Öffentlichkeit präsentieren möchten. Laut denkt man bei Audi darüber nach, wie die urbane Mobilität der Zukunft aussehen könnte. Während man sich wohl leise den Kopf darüber zerbricht, welches Produkt man in einer autolosen Stadt überhaupt noch verkaufen kann.

Wie diese Welt der Zukunft konkret aussehen könnte, darüber spekulieren in New York die fünf Siegerentwürfe der „Audi Urban Future Initiative“, ein ins Festival eingebetteter Wettbewerb zur mobilen Stadtentwicklung. Sie sieht gut aus, diese Welt. Autos rollen da geräuschlos und ganz von selbst durch die Städte, eingebettet in ferngelenkte Verkehrsströme, in denen der Fahrer seine Windschutzscheibe nur noch als urbanes Interface benutzt, als mobilen Großbildschirm, der ihm die Angebote einer durch und durch digitalisierten Stadtwelt ins Cockpit projiziert. Verkehr war gestern, jetzt regiert Facebook, auch am Steuer.

Offen bleibt lediglich, welche dirigistische Zentralplanungsinstanz diese grundoptimistische Autoscooterwelt bauen und betreiben sollte, konkret: Welcher Stadtverwaltung es gelingen könnte, eine derartige Infrastrukturrevolution gegen den Konservativismus des klassischen Verkehrsteilnehmers durchzusetzen. Dem Parteivorsitzenden einer chinesischen Metropole, der seine Bevölkerung nicht konsultieren muss, mag derlei Grundstürzendes noch ansatzweise plausibel erscheinen. In westlichen Städten, wo selbst ein Bahnhofsvisiönchen an wutbürgerlichem Ressentiment scheitern kann, wirkt es schwer vorstellbar. Gut, New York ist nicht Stuttgart. Aber eben auch nicht Peking.

Bienen haben kein Ego. Menschen schon. Ein Schweizer Gast zeigt am Rande des Festivals begeistert Handy-Fotos der neuen Business-Class-Sitze in den Maschinen der Swiss-Air. „Links ein Meter Platz, rechts ein Meter Platz“, schwärmt der Mann: „Da bist’s endlich mal allein!“

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