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Kultur: Fiktion oder Wirklichkeit?: Es stand geschrieben

"Der Südflügel war verwüstet. Die Stufen waren noch erkennbar, aber Säulen und Dach waren weg, und der Plenarsaal selbst war ein Krater.

"Der Südflügel war verwüstet. Die Stufen waren noch erkennbar, aber Säulen und Dach waren weg, und der Plenarsaal selbst war ein Krater. Im Norden war die Kuppel eingefallen." Das Capitol in Washington D.C. steht nicht mehr, das politische Establishment der Vereinigten Staaten ist vernichtet: Der Präsident und seine Frau, die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs, fast alle Senatoren und Abgeordneten sind tot. Tot, weil eine Boeing 747 der Japan Airlines auf das Capitol stürzt, als beide Häuser des Kongresses zu einer gemeinsamen Sitzung zusammengetreten sind.

Pilot Sato hatte die leere Boeing nach einem ausgeklügelten Plan in seine Gewalt gebracht, den Kopiloten getötet und war ins Capitol gestürzt. Es war ein Attentat, sein Attentat, Rache das Motiv: Sato hatte im Zweiten Weltkrieg einen Bruder und einen Sohn verloren, selbst aber überlebt. Was in Pearl Harbour geklappt hat, der Überraschungsangriff auf die Amerikaner, muss auch Jahrzehnte später klappen. Nur heißt Pearl Harbour jetzt Washington D.C. - und seit Dienstag New York. Kein böser Terrorist hat dieses beklemmend realitätsnahe Szenario, das sich wie eine Handlungsanweisung für den aktuellen Terroranschlag entworfen, sondern ein guter Amerikaner: Tom Clancy in seinem Roman "Befehl von oben", erschienen 1989. Clancy, durchaus ein politischer Rechtsaußen, hat in seinen Bestsellern wieder und wieder das amerikanische Volk, insbesondere aber die politische und militärische Führung durchs Feuer geschickt, auf dass Amerika um so strahlender auferstehe.

Wie sehr Clancys Szenarien in diesen Tagen ernst genommen werden, belegt der Nachrichtensender CNN, der Clancy quasi in den Rang eines Experten hebt. Und der ehemalige Versicherungsagent ist Experte, Experte für eine illusionslose Schwarz-Weiß-Sicht. "Der Schattenkrieg", "Die Stunde der Patrioten", zuletzt der Thriller "Ehrenschuld" führen vor, dass Frieden immer auch ein kalter, ein unerklärter Krieg ist, Terrorkrieg eben. Die Feinde Amerikas wechseln, mal ist ein Mullah-Regime im Besitz des Ebola-Virus, mal explodiert die Atombombe eines palästinensischen Terrorkommandos beim Super Bowl in Denver ("Echo aller Furcht". Bevorzugt sind es jedoch Japaner, die die Niederlage im Zweiten Weltkrieg nicht verwunden haben und deswegen Angriffe auf Amerika und das Herz seiner Wirtschaft planen.

Bei Clancy ist Amerika immer in seinem Innersten verwundbar für koordinierte Terroranschläge, und immer wieder besteht Amerika diese Prüfung, weil es diese Prüfung bestehen muss. Welches Land auch sonst? Was an den Romanen von Tom Clancy dieser Tage irritiert, ist das Gefühl, dass der bekennende Fan der US-Army Recht haben könnte, wenn er die Welt nach seiner Facon scheitelt: hier die good guys, dort die bad guys. "Und das stimmte: Amerika hatte meistens das Richtige getan - und die Welt war dadurch viel besser geworden".

Die Terroristen, die New York und Washington angegriffen haben, scheinen in sehr vergleichbarer Weise zu denken und zu handeln, nur eben anders gepolt, weil gegen Amerika gerichtet. Ein Dazwischen existiert bei ihnen und bei Clancy nicht. Verständigung,Entspannung, Toleranz - das ist etwas für Weicheier, doch keinesfalls für einen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Sollten die ziegelsteindicken Bücher des ehemaligen Versicherungsagenten eine Vorlage für tatsächliches Handeln darstellen, dann wird George W. Bush sich sagen, müssen, was Clancys Präsident Jack Ryan sagt: "Lincoln nannte Amerika die letzte und beste Hoffnung der Menschheit, und in den letzten zwanzig Jahren hat Amerika die Richtigkeit dieser Einschätzung durch unseren sechzehnten Präsidenten bewiesen. Amerika ist nicht ein Streifen Erde und Fels zwischen zwei Ozeanen. Amerika ist eine Idee und ein Satz Regeln, denen wir alle folgen".

"Die wirklich Guten gehen dahin, wo sie gebraucht werden, und sie scheinen immer zu wissen, wo das ist." Alles Zitate aus dem Buch, das nicht zufällig "Befehl von oben" heißt. Gefackelt und gewackelt wird nicht: Eine Lenkwaffe zerstört das Haus des iranischen Revolutionsführers in Teheran. Die Guten sind die Entschlossenen, die Aufrechten, die Kerle mit dem Durchblick, die sich nicht dreinreden, sich ablenken lassen von dem, was Clancy unter dem verächtlich gemeinten Ausdruck "Washington" zusammenfasst: "In dieser Stadt waren Ideologien Fakten, und wenn Ideologien nicht funktionierten, leugneten es die Leute. Eher verleugneten sie Gott als ihre Ideen. Politik war wohl die einzige Arena der Menschheit, in der Leute mächtig agierten, ohne sich um die Auswirkungen auf die wirkliche Welt zu scheren, und denen die wirkliche Welt viel unwichtiger war als die Fantasievorstellung, die sie in diese Stadt mitgebracht hatten." Dem "Befehl von oben" hat Tom Clancy eine zukunftsweisende Widmung vorangestellt: "Für Ronald Wilson Reagan, vierzigster Präsident der Vereinigten Staaten: der Mann, der den Krieg gewann".

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