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Jerichow

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Film "Jerichow": Wo die Posaunen schweigen

Kalte Heimat Ostdeutschland: "Jerichow" ist ein existenzialistischer Thriller - und Christian Petzolds Beitrag zur Finanzkrise.

Eine Beerdigung. Keine Gemeinsamkeit der Trauergäste danach, nur drei Männer im Haus der Toten. Keine Musik, die uns wie Halbblinde an die Hand nimmt und sagt, was wir fühlen sollen. Bei Christian Petzold gibt es eigentlich nie Filmmusik wie in allen genormten Breitwandigkeiten. Was also sollen wir fühlen?

Von Anfang an zieht eine merkwürdige Spannung die Bilder zusammen, kühlt sie aus, reduziert sie. Eine gewöhnliche Thrillerspannung ist das nicht. Ohnehin sehen wir nur Alltäglichkeiten, die Anfangsstummheit, die Verlegenheit nach einer Trauerfeier. Erst recht, wenn man im Haus der Toten steht, wo alles noch von ihrem Leben spricht. Es ist Thomas'' Elternhaus.

Zugegeben, ganz alltäglich ist es nicht, noch jung zu sein und bereits dorthin zurückzukehren, wo man herkommt. Schon gar nicht in dieses gottverlassene Haus in dieser gottverlassenen Landschaft, in der Prignitz oder wie diese aus der Zeit gefallenen Gegenden heißen. Dabei ist Thomas (Benno Fürmann) doch gerade weggegangen, aufgebrochen ins Dasein, gleich bis nach Afghanistan. Von der Prignitz aus gesehen war Afghanistan wohl das Nächstliegende, denn hier gibt es nichts, was ein junger Mann tun könnte.

Regisseur Christian Petzold erklärt solche Dinge nicht. In einem Petzold-Film versteht man sie unerklärt viel besser. Das Faszinierende, das Wesentliche an Filmen wie „Jerichow“ ist das, was sie nicht zeigen. Fürmanns Thomas sagt auch nicht viel, in der Prignitz ist das so. Wer wie er in Unehren entlassen aus Afghanistan wiederkehrt, schweigt erst recht.

Benno Fürmanns Gesicht schweigt auch, es kann wohl gar nicht reden wie andere Gesichter, und hier passt das gut. Es bleibt ihm nichts, als seine eigene Insel zu bilden im nun leeren Haus seiner Kindheit. Er lernt einen kennen, der verdient in der Prignitz sogar Geld. Ein Ausländer! Wie verdächtig ein Ausländer mit Geld in der Prignitz ist, entnahm Petzold während der Dreharbeiten zu „Yella“ einer Zeitungsmeldung: Ein Vietnamese wurde festgenommen, weil er den Kofferraum voller Münzgeld hatte. Es stellte sich heraus, dass dem Mann 45 Imbissbuden in der Umgebung gehörten. Er hatte sich ein Haus im Wald gekauft. „Heimat-Building“ nennt Petzold das.

Im Film ist der Heimat-Builder, Waldhäusler und Inhaber von 45 Imbissbuden ein Deutschtürke, und Hilmi Sözer als Ali ist das eigentliche Ereignis von „Jerichow“. Wo Ali ist, ist Musik, türkische natürlich, sehr laut aus dem Autoradio. Sonst ist es eigentlich still. Posaunen, die Städte zum Einsturz bringen, gibt es in „Jerichow“ nicht. Aber dass hier trotzdem bald eine Stadt, nein, eine Welt zusammenfallen wird, fast von allein, ist zu vermuten. Davon handeln Petzolds Filme, von der Unheimlichkeit des Nächstliegenden.

Der unsicherste und zugleich schönste Baustein des erfolgreichen Heimat-Builders Ali ist seine Frau: Nicht jeder kleine dicke Türke hat so eine schöne große blonde Frau (sich langsam enträtselnd und verrätselnd zugleich, die Hauptdarstellerin fast aller Petzold-Filme: Nina Hoss). Aber Ali ist eben ein Erfolgsmensch. Die Autos von Erfolgsmenschen sind oft sehr schnell und als Ali seinen Führerschein verliert, hat Thomas schon einen neuen Job. Großartig das Einstellungsgespräch, Arroganz und Attitüde in Alis Tonfall: Wie Thomas denn die 45 Imbissbuden abfahren würde? Die nächste oder die letzte zuerst? Und dann, ganz unerwartet, eine Entschuldigung. Für die Frage. Für die Art der Frage. Dieser Mann besitzt, was wir bei „Mitbürgern mit Migrationshintergrund“ so oft nicht vermuten: Selbstreflexion, Selbstfraglichkeit also, Insel-Bewusstsein.

Jeder moderne Mensch ist verinselt, denn er ist sich selbst nicht mehr selbstverständlich. Was ihm erlaubt und verboten ist, definiert kein Gott mehr, sondern der legitime Nachfolger Gottes: das eigene Ich. Alis neuer Fahrer und seine Frau verfallen einander schneller, als sie denken können, es ist eine Entscheidung ihrer Körper, nicht ihre eigene. Das ist nicht Schuld. Auch nicht, dass ihre Inhaber bald im Auftrag der Körper zu denken beginnen: wie einfach, wie richtig könnte das Leben sein ohne den Dritten zwischen ihnen. Beide sind sie von ihm abhängig, beide demütigt diese Abhängigkeit. Das macht die Komplizen der Körper zu Komplizen im Geiste. Was darf man tun um einer gemeinsamen Richtigkeit willen?

Das ist hier nicht vorwegzunehmen. Nur so viel: Am entscheidenden Umschlagpunkt wird der Boden der Geschichte plötzlich dünn. Dabei weiß doch jedes Durchschnittsbewusstsein: Selbst wenn das Glück nur einen einzigen Augenblick der Selbstüberwindung, der Selbstignoranz zu kosten scheint – man würde nicht mehr glücklich danach. Nie mehr.

Dennoch, „Jerichow“ ist ein großartiger Petzold-Film. Und vielleicht kennt erst ein nachmetaphysisches Zeitalter wirklich metaphysische Beschämungen wie die, mit der „Jerichow“ endet. Schon jetzt ist Hilmi Sözers Ali eine der größten Filmfiguren des gerade beginnenden Kino-Jahres. Die eigentliche, unsichtbare Hauptrolle aber spielt das Geld. Petzolds Beitrag zur Finanzkrise.

„Jerichow“ kommt am Donnerstag ins Kino

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