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Glück des Anfangs. Elise (Veerle Baetens) besucht den Bluegrass-Musiker Didier (Johan Heidenbergh).

© Pandora

Film "The Broken Circle": Wenn der Krebs die Liebe zerstört

Er spielt Banjo in der Bluegrass-Band, sie hat ein Tattoo-Studio: eine Liebe, eine kleine Tochter - und dann der Krebs. Wie kommt ein Paar mit der größten anzunehmenden privaten Katastrophe zurecht? Davon erzählt der belgische Film "The Broken Circle".

Krebsfilme haben Konjunktur – und den gewissen Vorteil, dass sie ihr ultimativ dramatisches Potenzial gleichsam ab Werk mitliefern: den Kampf kleiner Menschlein gegen den größten anzutreffenden individuellen Schicksalsschlag. Zugleich birgt der so wuchtig gewählte Stoff stets ein fundamentales Risiko: den beim Publikum allzu wohlfeil erzeugten Tränenstrom, mündend in das final fatale Melodram.

Manche Filme – und es sind nicht die schlechtesten – versuchen dem Dilemma insofern zu entgehen, als sie der innewohnenden Trauer des Stoffs mit dem offenbar einzig möglichen Trost begegnen: Sie feiern umso radikaler das Leben. Besonders leidenschaftlich hat das Andreas Dresen in „Halt auf freier Strecke“ (2011) betrieben. Am Beispiel eines gehirntumorkranken Familienvaters plädierte er dafür, Sterbende bis zum Ende nicht von den Lebenden, den Gesunden, ihrer familiären Umgebung zu trennen. Zuletzt inszenierten Valérie Donzelli und Jérémie Elkaïm in „Das Leben gehört uns“ geradezu ekstatisch den Kampf gegen das Sterben ihres kleinen Sohnes. Sie weigern sich, das Glück, das Lachen, das Singen aus ihrem Universum existenzieller Extremstrapazen zu verbannen – und augenblicksweise wirkt allein dieser tapfere Trotz wie die den Überlebenserfolg entscheidende Strategie.

„The Broken Circle“ – der vierte Spielfilm des 36-jährigen Belgiers Felix van Groeningen gewann bei der jüngsten Berlinale den Panorama-Publikumspreis – geht einen anderen Weg. Die Leidensstrecke eines sechsjährigen Kindes, das dem Krebs schließlich trotz Stammzellentransplantation zum Opfer fällt, begleitet er weitgehend elliptisch in kurz aufscheinenden Rückblenden; oder sollte man gar Abblenden dazu sagen? Wo etwa Dresen die Kernszene der Diagnose im Sprechzimmer des Arztes in nahezu dokumentarischer Ausführlichkeit nachstellt, genügen hier ein Blickwechsel und Stille. Wo Donzelli/Elkaïm den Krankenhausalltag des Elternpaars breit ausspielen, stehen hier zarte Inbilder der Nähe, die die Kamera kaum in kinematografische Bewegung überführt.

Es ist die Dekonstruktion der Elternbeziehung nach der Katastrophe und auch deren frühe Vorgeschichte, die diesen Film nach einem Theaterstück von Johan Heidenbergh (er spielt auch die Hauptrolle) besonders beschäftigt. Didier, Banjospieler und Sänger einer Bluegrass-Band, und Elise (Veerle Baetens), die wild tätowierte Inhaberin eines Tattoo-Ladens, finden in einer schön anlauflos inszenierten Späthippieliebe auf dem Lande zusammen. Da kommt Elises Schwangerschaft zunächst Didier, der „nicht über das Leben von jemand anderem entscheiden will“, heftig dazwischen. Ein paar Jahre aber währt dann das – nunmehr fast bürgerliche – Glück. Elise wird als Sängerin in die Band aufgenommen, die kleine Maybelle (Nell Cattrysse) wächst heran. Und dann der Riss, den das Paar so gegensätzlich zu bewältigen sucht, dass es daran zerbricht.

Schmerzhaft präzise inszeniert der zwischen mehreren Zeitebenen vagabundierende Film seinen Kernkonflikt. Didier will selbst in der Trauer von seinem Rationalismus nicht lassen und tobt gegen jedweden Glauben. Elise sucht, um den Verlust auszuhalten, vorsichtig Zuflucht in Seelenwanderungsvorstellungen. Bald folgt – und in den achronologischen Patchwork-Szenen scheint dies schon früh auf – des Dramas zweiter Teil: der Kollateralschrecken des schlimmsten unverschuldeten Ereignisses, das eine Liebe treffen kann.

Die quälende Schuldsuche gegen alle Vernunft ebenso wie der masochistische Trostverzicht gegen alle versöhnende Unvernunft überschatten schließlich sogar jene Welt, die dem Paar geblieben ist: die Konzertauftritte und überhaupt die Kohärenz der Band. Und dann, als hätte er sich denn doch zu viel vorgenommen, treibt „The Broken Circle“ verblüffend bereitwillig davon in die dramaturgische Gefälligkeit – im Sinn für das allzu prägnante Bild, für das allzu rührende Arrangement, ja, sogar für die Pointe. Womit er seine Zuschauer streicheln mag, sich selbst aber gegen den Strich.

Ab Donnerstag im Capitol, Delphi, FaF, International, Kulturbrauerei, Yorck; OmU in den Hackeschen Höfen, englisch untertiteltes Original im Neuen Off

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