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Mit Vollgas ins Actionspektakel. „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ ist einer der Leserfavoriten.

© Sony Pictures

Film: Tim und Struppi: Mit Gefühl und Getöse

Hunderttausend Höllenhunde! Steven Spielberg hat "Tim und Struppi" verfilmt. Wer die Comics mag, wird das rasante Kino-Abenteuer lieben.

Große Jungs müssen die Idee einfach lieben. Dass ein großer Junge namens Steven Spielberg nach so vielen Filmen für die Kinder, die in uns Erwachsenen stecken, mit 64 Jahren dem großen Reporterjungen Tim und seinem Foxterrier Struppi so ein Denkmal setzt. Dass der große Junge Peter Jackson, auch schon knapp 50, als Produzent dem großen Steven Spielberg hilft, seinen ersten Animationsfilm nach einem Comic und den auch noch in 3D zu inszenieren. Und dass Jackson, mit den „Tintin et Milou“-Heften des Belgiers Hergé aufgewachsen, Tims Universum ebenso fieberhaft eroberte wie Spielberg im sogenannten Mannesalter – mit dem Französisch-Wörterbuch in der Hand.

Nun also gibt es den nicht nur unter Tintinologen mit einiger Heftigkeit erwarteten Film für große Jungs überall auf der Welt, und seine Macher haben tatsächlich alle Begeisterung von damals und erst recht alle technischen Möglichkeiten von heute hineingepackt. Das Ziel: Hergés Comicwelt so überwältigend wie möglich ins bewegte Bild zu verwandeln. Nicht als Zeichentrickfilm, den gab es schon, in Fernsehserien und fürs Kino. Auch nicht als Realfilm, den gab’s auch bereits zweimal, in den sechziger Jahren. Sondern dazwischen, mittels Performance-Capture-Verfahren: Hierbei werden – bisher am brillantesten ausprobiert in James Camerons „Avatar“ – Mimik und Gestik realer Schauspieler aufwendigst gespeichert und sodann ihren digitalen Masken und Kostümen im computergenerierten Raum einverleibt.

Das Ergebnis ist verblüffend. Nicht dass wir Jamie Bells „Billy Elliot“-Züge sofort im rosig rothaarigen Tim, Andy Serkis’ Mienenspiel im ewig whiskey-berauschten Kapitän Haddock oder gar Daniel Craigs Bond im Schurken Sakharin wiederentdecken würden, aber – Hunderttausend jaulende Höllenhunde! – diese Figuren leben. Auch die beiden tumben Polizisten Schulze und Schultze, verkörpert von den britischen Komikern Simon Pegg und Nick Frost, wandeln untadelig durchs kollektive Fantasieuniversum, und was erst ist über den Kleptomanen Aristide Klemm-Halbseid (Toby Jones) zu sagen? Er ist so gut getroffen, dass man ihm die eigene Brieftasche geradezu niederknieend aushändigen möchte.

Tatsächlich gilt die Liebe, ach was, die Obsession der Macher – und es sind Hunderte in den Spezialabteilungen – jedem Detail. Nie schimmerten Ölflecken so appetitlich, nie spiegelten sich Silhouetten so deutlich in Fensterscheiben, nie tanzten Sandstaubkörner verführerischer unter der Wüstensonne. So funktioniert „Das Geheimnis der Einhorn“ vor allem als imponierender technischer Leistungsbeweis. Wie aber steht es um den Geist Hergés, um seinen Sinn für die verspielt entwickelte Story, um seinen mal betont steifbeinigen, mal burlesk herumtollenden Humor, um das Vergnügen des Zeichners auch, zwischen turbulentem Geschehen und zarter Ereignisarmut munter hin- und herzuschneiden?

Zunächst: Spielberg gestaltete nicht nur Hergés „Das Geheimnis der Einhorn“ mit allerlei Freiheiten um, den elften Band der 23 Alben umfassenden Serie, sondern fügte dem Film viel aus dem früher erschienenen „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ und manches aus dem Fortsetzungsband „Der Schatz Rackhams des Roten“ hinzu. Das macht Spaß, weil es den Handlungsrahmen um die Suche nach einem verschwundenen Piratenschatz erweitert – und besonders, weil der Zuschauer den trunksüchtigen Raufbold Haddock so in aller, sagen wir, entwicklungspsychologischer Tiefe kennenlernt.

Was dann aber bald ermüdet, ist das aus so vielen Filmen geläufige Action-Dauergewitter. Nicht nur, dass Tim, bei Hergé im Umgang mit Feuerwaffen eher sparsam, hier fortwährend mit Kanonen jeden Kalibers umgeht, sondern bald scheint er sich, äußerst gefordert immer vom Äußersten, mal in ein Bondchen, mal in einen fadenlosen, durch die Lüfte schwingenden Spiderman zu verwandeln. Haddock wiederum darf sich nicht mit urkomischen Spiegelfechtereien begnügen, sondern packt im Duell mit dem nächstbesten Schurken brutalstmöglich mit an. Und vor lauter auch visuellem Getöse verkriecht sich der Charme der Bücher wie Struppi selber – in eine stille Seelenecke.

Große Jungs aber weinen nicht, und deshalb: Hereinspaziert! Und sei es, um mit Hergés Mythos endlich auch Amerika zu erobern. So hat es sich unlängst Jean- Pierre Talbot gewünscht, ein belgischer Lehrer in Rente. Talbot? Noch so ein großer Junge auf Lebenszeit, 1960 war er 17, als er Tim im ersten Realfilm spielte. Drei Jahre später spielte er ihn noch mal – und das war’s mit seiner Schauspielkarriere. Wer Tim war, bleibt Tim, und wer Tim liebte, muss ihm gewogen bleiben.

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