zum Hauptinhalt

Kultur: FILMBUCH

Kino und Psychoanalyse – das ist eine immer wieder turbulente Liaison, von Anfang an. Beide sind seit 1895, als sie in die Welt traten, Bastards von ungewisser Herkunft, mit einer Vielzahl von Leih-Eltern.

Kino und Psychoanalyse – das ist eine immer wieder turbulente Liaison, von Anfang an. Beide sind seit 1895, als sie in die Welt traten, Bastards von ungewisser Herkunft, mit einer Vielzahl von Leih-Eltern. Beide sind ebenso gierig wie schamlos in ihrem Wildern bei Literatur, den darstellenden Künsten, Alltag, Brauchtum, Philosophie und Religion. Erstaunlich auch, mit welch verwandtem Vokabular sie arbeiten: Projektion und Projektionsfläche, Szenerie und Szenario, Einstellung und Auflösung, Motiv und Illusion. Auch ist das Kino als die „Couch der Armen“ längst zum geflügelten Wort geworden; unklar bleibt nur, ob dem Zuschauer dabei die Rolle des Analytikers oder jene des Patienten zukommt.

Pünktlich zum 150. Freud-Geburtstag am 6. Mai hat das Filmarchiv Austria einen vielstimmig orchestrierten Band herausgegeben, der die Zusammenhänge zwischen den beiden prägenden Seelenerforschungsschulen des 20. Jahrhunderts facettenreich ausforscht: „Psyche im Kino – Sigmund Freud und der Film“erhellt, wie Kino und Psychoanalyse in der Twilight-Zone zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit spielen: Beide suchen nach der Lösung von Geheimnissen hinter der Tür (frei nach einem FritzLang-Film von 1947). Als Akteure in dem 400-Seiten-Buch des Filmarchiv Austria fungieren Filmemacher wie Luis Buñuel, Alfred Hitchcock, David Lynch und ein halbes Dutzend andere als Gewährsleute für das Rätsel der spannungsreichen Parallelgeschichte beider Disziplinen. Die filmischen roten Fäden, die zu Belegen angeführt werden, sind teils zwingend naheliegend – etwa „Geheimnisse einer Seele“ (Georg Wilhelm Pabst) über „Spellbound“ (Alfred Hitchcock) und „Freud“ (John Huston) oder „Eyes Wide Shut“ (Stanley Kubrick). Aber die Autoren führen auch Titel an, die nicht so am Forschungswege liegen, zum Beispiel „Sonne Halt!“ (Ferry Radax), „Edipo Re“ (Pier Paolo Pasolini) und „Der junge Freud“ (Georg Stefan Troller/Axel Corti).

Wenn es einen Regisseur gibt, dessen Gesamtwerk leitmotivisch durch die Psychoanalyse geprägt ist, dann Woody Allen. In „Sleeper“ (1973) nennt der Hauptdarsteller (und Regisseur!) das Gehirn sein zweitliebstes Organ. Er belässt es dabei, das Zweitliebste zu benennen und das Liebste zu verschweigen. „Strikt freudianisch“ bezeichnet Allen das. Was strikt freudianisch ist? Etwas, das den Rationalisten zu mystisch und den Mystikern zu rationalistisch ist. Manchmal allerdings tönt es auch nur ausgesprochen schick. Wie heißt es im Vorwort? „Freud ist in der modernen Begrifflichkeit weniger eine Ikone als vielmehr ein ,icon‘ auf der Oberfläche des bildungsbürgerlich-intellektuellen Desktops. Freud ist ikonografisch identifizier- und assoziierbar; welche und wie viele Links sich für den Einzelnen darunter verbergen, gibt die Oberfläche nicht preis.“

— Thomas Ballhausen, Günter Krenn, Lydia Marinelli (Hg.): Psyche im Kino – Sigmund Freud und der Film. 412 Seiten,

Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2006, 24,90 €.

Ralph Eue

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false