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Freundinnen: Natia (Mariam Bokeria, links) und Eka (Lika Babluani),

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Filmdebüt aus Georgien: Aufwachsen im Krieg: der Film "Die langen hellen Tage"

Abchasien ist seit 1993 von Russland besetzt. Vorher waren 250 000 vertrieben worden, die Hälfte der Bevölkerung. Davon erzählt „Die langen hellen Tage“, das sensible Filmdebüt von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß.

Politische Ähnlichkeiten mit der Krim – oder womöglich bald gar der Ukraine – sind keineswegs zufällig. Eine Tagesreise Richtung Südosten an der Schwarzmeerküste liegt, wie die Krim ein touristisches Kleinod, Abchasien, der Nordwestzipfel Georgiens. Georgiens? Tatsächlich ist Abchasien, dessen proklamierte Unabhängigkeit bis heute von kaum einem Land anerkannt wird, seit 1993 von Russland besetzt. Im vorangegangenen Sezessionskrieg wurden 250 000 Georgier brutal aus der Region vertrieben, die Hälfte der dortigen Bevölkerung.

„Die langen hellen Tage“, das so zarte wie vitale Debüt der Georgierin Nana Ekvtimishvili und des Deutschen Simon Groß, Absolventen der Filmhochschulen in Potsdam und München, spielt nicht in Abchasien – aber der Krieg, der den Alltag des damals selber erst seit kurzem von der Sowjetunion unabhängigen Georgien prägt, ist sein vieles verdunkelnder Hintergrund. 1992 in der georgischen Hauptstadt Tiflis: Soldaten kehren verroht aus dem Krieg zurück und tyrannisieren ihre Familien. Oberschüler rechnen jeden Tag mit der Einberufung. Und die Alten, die Frauen und die Kinder, die in der Schlange fürs tägliche Brot anstehen, müssen mitansehen, wie Uniformierte sich vordrängen und die penibel rationierten Laibe wegschleppen – gleich dutzendweise.

In dieser von Männern rücksichtslos dominierten Welt wachsen die 14-jährigen Schulfreundinnen Natia (Mariam Bokeria) und Eka (Lika Babluani) in einer Plattenbau-Vorstadt auf. Natia lebt mit dem alkoholsüchtigen Prüglervater, der stets schreienden Mutter und keifenden Großmutter zusammen, Eka beobachtet, wie sich ihre ältere Schwester mit Freundinnen für Rendezvous hübsch macht, verstummt an der Seite ihrer verschlossenen Mutter und durchwühlt immer wieder, ein geheimes Ritual, eine Kiste mit Briefen und einer letzten Zigarette in aufgerissener Packung, Erinnerungen an ihren im Gefängnis sitzenden Vater.

„Die langen hellen Tage“ – der Titel ist wörtlich aus dem Georgischen „Grzeli Nateli Dgeebi“ übersetzt – taucht diese trübe Psycho-Szenerie in passend entsättigtes Blaugraugrün, verzichtet aber auf visuelle oder dramaturgische Überdeutlichkeiten. Keine Anklage. Keine grobschlächtige Parteinahme. Auch elterliche Brüllszenen mit zu Bruch gehenden Weinflaschen bewahren, wie mit den Augen heranwachsender Kinder gesehen, eine gewisse Restkomik. Das Leben spreizt sich bloß in seine lauten und lächerlichen Seiten; und mitten in allem ahnen Natia und Eka bereits, dass ihre schönste Zeit nicht unbedingt vor ihnen liegt. Aber immerhin: Zeit. Und ihre.

Recht früh kommt eine Pistole – der hübsche Lado (Data Zakareishvili) schenkt sie Natia als Liebesgabe zwecks Selbstverteidigung – ins Spiel. Und es gibt reichlich Gründe, sie einzusetzen: gegen halbwüchsige Bengel, die den Mädchen auflauern; gegen aggressive Verehrer, die ihre Angebeteten, mit der Folklore als Alibi, ruppig im Auto entführen und ebenso ruppig zur Braut machen; gegen böse Väter vielleicht und böse Fremde ganz bestimmt. Einige Spannung bezieht der Film aus der Sorge darum, was mit dieser Pistole geschieht, die Eka und Natia heimlich wie einen explosiven Schatz hin- und herreichen. Schließlich gilt seit Tschechow: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, wird es im letzten Akt abgefeuert.“

Es gibt ein Drama, aber es geht anders. Es gibt ein Glück auch, aber auch das kommt anders – zum Beispiel als in einer langen Einstellung gefilmter Tanz, so hinreißend episch vom rumänischen Kameramann Oleg Mutu gefeiert, wie er einst „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ seines Landsmann Cristian Mungiu unsterblich ins Bild setzte. Und behutsam richtet der Film seinen Fokus immer mehr auf Eka, die stille Nebenfigur, die Tochter der unglücklichen Mutter, die Freundin der sich trotzig in ein Unglück fügenden Freundin, die einzig Erwachsene unter so vielen Erwachsenen. Als würde dieses sensible, tatkräftige Mädchen mitten in dümmster Zeit vor unseren Augen groß. So viel Hoffnung.

Ab Donnerstag in Berlin in den Kinos: Brotfabrik, Eiszeit, Hackesche Höfe und Krokodil (alle OmU)

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