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Filmfestival: "Achtung Berlin" zeigt Berlin als Labor für Lebensentwürfe

Über Autos springen, im Grünen liegen: Das Festival "Achtung Berlin" zeigt rund 80 Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme aus Berlin und Brandenburg.

Von Maris Hubschmid

„Alles geht“, sagt der junge Mann mit dem wild gemusterten Hemd und dem Strohhut zu seiner Bettbekanntschaft in Bernd Heibers Spielfilm „Teneriffa Exit“. Aber er irrt. Der Mensch stößt an Grenzen, wenn er hoch verschuldet ist und eine Horde mitleidloser Krimineller ihm im Nacken sitzt. Auch wenn er krank ist, alt oder einsam. Der Mensch stößt an Grenzen – selbst in dieser Stadt, Berlin.

In diesen Tagen zeigt das Festival „Achtung Berlin“ wieder rund 80 Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme, deren Handlung in Berlin und Brandenburg angesiedelt ist oder die von ortsansässigen Firmen verwirklicht wurden. Opulent ausgestattete Produktionen mit namhaften Schauspielern sind darunter (Robert Stadlober und Jessica Schwarz in „Der Mann, der über Autos sprang“ etwa und Heinz Hoenig in „Das System“), ebenso wie Erstlingswerke ohne nennenswertes Budget. In seinem siebten Jahr, sagt der Chef des Festivals, Hajo Schäfer, sei das Programm unerwartet politisch geworden. „Den Anspruch haben wir überhaupt nicht gehabt. Aber Integration ist ein großes Thema, genau wie Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Existenzangst.“

Den Mittelpunkt der Festwoche bildet erneut die Sektion „Made in Berlin und Brandenburg“, in der 21 Langfilme um den „New Berlin Film Award“ konkurrieren. Ein beachtlicher Teil der diesjährigen Filme spielt nicht nur in Berlin, sondern hat sich Berlin direkt oder indirekt zum Thema genommen. „The place to be“ ist die Stadt für viele der Protagonisten und damit offenbar auch für die jungen Filmschaffenden – zahlreiche Beiträge kommen von Studenten und Absolventen der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Aber Berlin ist nicht mehr gleichzeitig der Ort, an dem sich jeder ungehindert und unabhängig entfalten kann: „Hör auf zu träumen und sieh die Dinge, wie sie wirklich laufen!“, brüllt ein Mann gegen Ende des in Prenzlauer Berg gedrehten Dramas „Teneriffa Exit“ seine Geliebte an, während ein anderer, mit dem diese Frau kurz zuvor noch geschlafen hat, unweit in einem Gebüsch erschossen wird. Sich an den Privilegien eines Lebens zu berauschen, das nicht das seine ist, versucht Franz mit der Hasenscharte in „Frontalwatte“. Unter falschem Namen besichtigt er luxuriöse Loftwohnungen, wird jedoch allzu bald als Blender enttarnt. Und auch die Geborgenheit, die Franz im Schoß einer reiferen Frau zu finden glaubt, ist von kurzer Dauer. Sie sucht keinen Liebhaber, sondern einen Ersatz für ihren Sohn, der sich von ihr abgewendet hat. Franz wird mit dessen verbliebener Kleidung ausstaffiert und unfreiwillig zum Objekt ihrer inzestuösen Begierde.

Auffallend stark besetzt ist die Sparte der Dokumentarfilme, die den Spielfilmen in der Klarheit ihrer Bildsprache in nichts nachstehen. Wer 2010 Gefallen daran hatte, mit Regisseur Volker Meyer-Dabisch in die kleine, weite Welt des Görlitzer Parks einzutauchen, der findet in Dennis Karstens „Mauerpark“ einen würdigen, atmosphärisch ebenso dichten Nachfolger von „Der Adel vom Görli“. Trotz allen Hippie-Flairs auf dem rund um die Uhr stark beanspruchten Grünstreifen wird aber auch hier, aus der Perspektive des im Gras Liegenden, deutlich: Die Freiräume sind kleiner geworden. Und Curtis Burz’ Experiment „Ich habe dir nie gesagt, womit ich mein Geld verdiene“, eine unkonventionelle Aneinanderreihung dokumentarischer Essays, erzählt wunderbar anrührend von Menschen, die mittendrin zu sein scheinen und sich doch nur als Statisten fühlen in ihrem eigenen Leben. Als Randfiguren, die auf den Fortgang der Geschichte keinen Einfluss haben. Längst nicht mehr dem Glück hinterherlaufen, sondern dem Unglück davonrennen.

Etwas penetrant wirkt lediglich die bereits preisgekrönte Dokumentation „Nachtschichten“, deren Handelnde teils nicht minder nervtötend sind als die dunklen und oftmals verwackelten Bilder der Handkamera.

Die Desillusionierung, sie ist das dominante, wiederkehrende Thema in den Filmen des Wettbewerbs „Made in Berlin und Brandenburg“. Damit steht er in gewissem Kontrast zur Retrospektive des Festivals und ihrer „Anything-goes-Mentalität, wie sie zum Beispiel aus Rolf Peter Kahls ,Angel Express‘ von 1998 spricht“, sagt Leiter Hajo Schäfer. Der kritische Blick auf das soziale Gefüge und die Entwicklung der Stadt macht die diesjährige Auswahl der Beiträge von „Achtung Berlin“ aber sicher zu einer der bisher reizvollsten in der Geschichte des Festivals.

Und vielleicht ist es ja schon längst nicht mehr die Erwartung von grenzenloser Freiheit, die die Menschen nach Berlin zieht – sondern das Wissen darum, dass man sich hier noch immer länger als anderswo vormachen kann, es gäbe sie.

bis 20. 4. im Babylon Mitte, Filmtheater am Friedrichshain, International und Passage, Info: www.achtungberlin.de

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