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Präzisionsarbeit vor der Leinwand: Ein Sprecher in einem Filmtonstudio der Berliner Synchron in Lankwitz.

© Thilo Rückeis

Filmindustrie: Im Gleichklang fremder Lippen

Er hat Alexander Sokurovs „Faust“ zum Klingen gebracht: Eine Begegnung mit dem Synchronregisseur Stephan Hoffmann und seinen Kollegen in den Studios der Berliner Synchron.

Der Kopf des Goldenen Löwen gebühre ihm, habe Alexander Sokurov gesagt – und man merkt Stephan Hoffmann an, dass ihn das sehr stolz macht. Die sonst so ruhige, tiefe Stimme des ehemaligen Schauspielers wird ein bisschen heller, während er Sokurovs Satz unwillkürlich ausgestaltet. Auch jetzt noch, bald ein halbes Jahr nach den Filmfestspielen von Venedig, meint man das Lob von „Alexander Nikolajewitsch“, wie Hoffmann ihn manchmal nennt, zu hören, von Russland her durch den Regen. Der fällt an diesem Januarmorgen in dicken Tropfen vor dem Fenster des schlichten Konferenzraums auf die braun verwitterten Gebäude der „Berliner Synchron“, die 1938 erbaute ehemalige Hauptfilmstelle der NS-Luftwaffe in Lankwitz. Ein passender Ort, ein Themenfeld anzugehen, in dem es um eine deutsch-russische Koproduktion und das Misstrauen der Deutschen gegen ihre eigene Sprache geht. In Venedig gewann der „Faust“, seit Donnerstag in deutschen Kinos, die Auszeichnung für den besten Film. Sokurovs Faust. Der ohne Hoffmann nur ein halber wäre. Stumm.

Stephan Hoffmann ist Dialogregisseur, er realisiert deutsche Synchronfassungen anderssprachiger Filme, und spätestens jetzt, mit dem jüngsten Erfolg, ist er ein heimlicher Star seiner Zunft, die an Stars nicht reich ist. Die Stimmen der Synchronsprecher mögen noch einige kennen und schätzen, das Getriebe dahinter tritt im Idealfall gar nicht in Erscheinung: „Eine perfekte Synchronisation ist, wenn ich das Gefühl habe: Es ist überhaupt nicht synchronisiert“, sagt auch Stephan Hoffmann – und jetzt, da vor dem Fenster des Konferenzraums wieder Regen einsetzt, mag man dieses Verschwinden fast ein wenig bedauern. So angenehm ist diese Gegenwart, so sonor rollen die Sätze, die Hoffmann – Jeans und blauer Pullover, präsent, aber nicht prätentiös – so wohlbedacht auf Reisen schickt, dass man dem, der sie spricht, mehr zubilligen möchte, als im Idealfall zu verschwinden.

Homogen müsse die fremde Sprache in die Muskulatur, in die Körperlichkeit des Darstellers einsinken. Wahrhaftig solle es sein, nicht nur lippensynchron, sagt Hoffmann, der seine Synchronkarriere als Sprecher begann, und der heute als Regisseur und Autor deutscher Textfassungen stolzer Vertreter dieser dienenden Kunstform ist. Allein, dass deren offensive Missachtung die sonst so ruhige Stimme doch ein wenig aus dem Gleichgewicht bringt, mag nicht ganz zu dieser Demut passen: „Leute, der Film wurde bewusst auf Deutsch gedreht“, hätte er gerne jenen Journalisten entgegengerufen, die bei einer Pressevorführung des „Faust“ im Dezember in Berlin rummaulten, dass es den Film nicht auch auf Russisch gebe.

Dabei ist Hoffmann, der sich für den „Faust“ durch die Synchronisation zahlreicher Arthouse-Produktionen empfahl, Geringschätzung gewohnt. Fast müde klingt er, wenn er den „Elitarismus“ der OmU-versessenen deutschen Kulturszene anprangert. Deren polyglotte Eitelkeit verkenne, dass nur ein Prozent eine Fremdsprache gut genug beherrsche, um einem Film in dieser Sprache ohne Einschränkung zu folgen. Sie missachte generell, wie viel vom Film als visueller Kunst denen verloren gehe, die sich sehr auf die Schrift der Untertitel oder das genaue Hinhören konzentrieren müssten. Und sie unterschätze den besonderen Konnex zwischen Emotion und Muttersprache.

Mit dem „Faust“ scheint all das zunächst nur mittelbar zu tun zu haben. Der sei ja von Beginn an etwas Besonderes gewesen, sagt Stephan Hoffmann, denkbar untypisch für das sonstige originalgetreue Nachbilden einer anderssprachigen Tonkulisse. Zehn Wochen arbeitete Hoffmann für dieses Andere direkt mit Sokurov in einem Sankt Petersburger Tonstudio, kürzte dessen wildes Skript für die Tonfassung ein, schuf so einen originären Text, der sich nur in kleinen Teilen mit dem deckt, was die Schauspieler – die russischen unter ihnen in phonetischem Deutsch – bei den Dreharbeiten tatsächlich sagten. „Nicht ein Ächzen ist mehr vom Originalton übrig, auch nicht von den deutschen Schauspielern“, sagt Hoffmann. Wie alle Sokurov-Filme wurde auch der „Faust“ komplett nachvertont, der Meister schätzt grundsätzlich die größere stimmliche Präsenz der Studio-Takes, wie er zuletzt in einem Interview mit der „taz“ verlauten ließ.

Wie diese Präsenz – und damit hat Sokurovs umjubelter „Faust“ vielleicht doch etwas mehr mit dem gering geschätzten deutschen Synchronwesen gemein – gebildet wird, lässt sich bei einem Gang durch die Studios der Berliner Synchron erfahren. Hier, unter den glühlampenrot flackernden „Ruhe, Aufnahme“-Zeichen von Deutschlands mit 75 festen Mitarbeitern, acht Studios und über 7 000 Filmen größtem und seit seiner Gründung 1949 zweitältesten Synchronunternehmen macht es schlicht Spaß, den Schauspielern Sanam Afrashteh und Imtiaz ul-Haque bei ihrer Arbeit zuzugucken. Wie sie unter der Regie von Hoffmans Kollegen Christoph Cierpka versuchen, die Betonungsnuancen eines britischen Kinofilms nachzuvollziehen, dabei wieder und wieder an derselben Stelle hängen bleiben, an der Afrashtehs Stimme nicht zu lasziv, aber auch nicht zu unschuldig klingen darf, das wirkt äußerst gewissenhaft. Dass ihre Arbeit dabei weniger kreativ als nachvollziehend ist, ist Sanam Afrashteh, einer jungen Iranerin mit auffallend klarer Stimme, durchaus bewusst: „Man ist nicht so frei wie im Theater, man muss zugleich spielen und die technischen Gegebenheiten im Blick haben.“ Für Schauspieler ist Synchronisierung daher oft nur ein Zubrot, nicht aber Karriereziel. Dass die Akteure, die meist für ein bis zwei Wochen Produktionszeit einen mittleren vierstelligen Betrag verdienen, deshalb schlechter sind, glaubt Stephan Hoffmann nicht. „Mit Originalschauspielern nachzusynchronisieren, ist häufig eine Katastrophe.“ Es gebe spezielle Fähigkeiten, die Synchronschauspieler auszeichneten: Rhythmus, Schnelligkeit und im Studio auf den Punkt gebrachte Emotion.

Dass diese Fähigkeiten nach wie vor gefragt sind, daran scheint zunächst kein Zweifel. 300 fremdsprachige Kinofilme, rechnet Karlheinz Lubojanski, Vorstand der Berliner Synchron, im Studioflur vor, erreichen jährlich die deutschen Kinos, fast alle werden synchronisiert. Die Produzenten kostet das einen fünf- bis sechsstelligen Betrag – bei Blockbustern meist ein Bruchteil der Produktionskosten. Hinzu kommen Fernsehproduktionen. Doch der Markt verkleinert sich. Nach einer Boomphase rund um das Aufkommen des nimmerseriensatten Privatfernsehens müssen seit Jahren immer wieder Studios schließen, weil es an Aufträgen mangelt und die Technik immer teurer wird.

Auch die Berliner Synchron „passt sich neuen Marktgegebenheiten an“, wie es Lubojanski ausdrückt. Speziell für DVD-Produktionen liefern die Tonproduzenten inzwischen auch Untertitel mit – für den in der Tat wachsenden Markt derer, die dann doch lieber lesen wollen. Und noch einer will sich angesichts von Preisdumping und schlechter werdenden Arbeitsbedingungen vielleicht umorientieren. Seit Venedig, oder besser: seit man sein Gesicht kenne, erzählt Stephan Hoffmann, gebe es auch immer wieder Anfragen, ob er sich nicht auch vorstellen könne, selbst Filme zu machen. Hoffmann, der Kopf des Goldenen Löwen, sagt, er könne das.

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