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Kultur: Finger in der Wunde

Peter Konwitschny erhält den Berliner Theaterpreis

Das wahre Pfingstwunder ereignet sich am Ende. Der Opernregisseur Peter Konwitschny erhält in der Komischen Oper den von der Stiftung Preußische Seehandlung ausgelobten, mit 16 000 Euro dotierten Berliner Theaterpreis, die Stimmung im Saal ist fröhlich-familiär, ja bisweilen geradezu beseelt, und alle haben bereits geredet, mehr oder weniger das Übliche: Intendant Andreas Homoki singt – „von Kollege zu Kollege“ – das Hohelied des Handwerks, Klaus Wowereit versucht sich am Hohelied Berlins, und Joachim Sartorius, beratendes Mitglied der Jury, rühmt verhuscht das „utopische Potenzial“ des Preises, immerhin sei Konwitschny seit 18 Jahren der erste Vertreter des Musiktheaters.

Dann aber betritt der Geehrte selbst die Bühne. Räuspert sich, schaut ins Plüschrund, schweigt, senkt den Blick. Vor 20 Jahren hatte der damalige Hausherr Harry Kupfer ihn nach sechs Wochen Proben von Smetanas „Verkaufter Braut“ wieder entbunden – einer Pissoir-Szene wegen, angeblich. Vielleicht aber wollte sich Kupfer (neben Joachim Herz und Götz Friedrich) ganz einfach auch die Thronfolge Walter Felsensteins nicht streitig machen lassen. Solche und andere Gedanken mögen Konwitschny in diesem Augenblick durch den Kopf gehen, und er gestattet sie sich, gibt sich ihnen hin, verscheucht sie, gefühlt, erst viel später mit ein paar blinzelnd flapsigen Bemerkungen. Dieser Mensch und Künstler – und das ist das grandiose Geheimnis vieler seiner Aufführungen, ja seiner ganzen Karriere – tut sich schwer mit jeder Falschheit, jeder Verstellung. In einem regelrecht kindlichen Sinn ist Konwitschny immer authentisch. Das Theater stellt für ihn die letzte „Lehranstalt“ dar, in der der Mensch lernen könne, „was ein Mensch ist“; und Kunst kommt in seinemFall nicht nur von Können, sondern auch, um Schönberg zu zitieren, von Müssen. Das birgt gewaltige Chancen und große Gefahren, oder wie Laudator Gerhard Brunner es in seiner anrührend-persönlichen, von gemeinsame Erfahrung gesättigten Rede formuliert: Es seien seine Krisen, es sind „diese fast verzweifelten, auch existenziellen Bedrohungen“, die Konwitschny „in höchster Not zu höchster Anstrengung und höchster Leistung, zu Außerordentlichem geführt haben.“

Brunner ist es auch, der den Finger noch einmal in die Berliner Wunde legt: „Letztlich gehört Deine Arbeit dorthin, wo sie die größte Wirkung entfaltet, wo sie die Dummheit und die Selbstgewissheit am wirkungsvollsten „stört“, also ins Zentrum. Dort liegt Dein Forum, dort sollst Du uns mit Deinen Fragen behelligen, beunruhigen. Das Zentrum, also Berlin, natürlich Berlin.“ Selbst in Berlin allerdings ist Konwitschny inzwischen (wieder) angekommen, nächste Saison inszeniert er an der Komischen Oper „Cosí fan tutte“, und die Verabredungen reichen noch weiter. Für ein Einzelkind wie ihn, so der Preisträger, seien stimmige menschliche Kontakte, seien „Geschwister“, mit denen man gemeinsam „gegen die Eltern“ vorgehen könne, enorm wichtig. Seine Dramaturgen Bettina Bartz und Werner Hinze gehörten als erste dazu – und natürlich auch die Musiker dieses Vormittags (Sinéad Mulhern, Dietrich Henschel, Lars Jensen und die Berliner Bläserakademie), die allerlei trefflich Arrangiertes, bestens Gelauntes aus Mozarts „Don Giovanni“ beisteuerten.

Das Theater, so Brunner, befände sich in einem Überlebenskampf, „bei dem es ganz und gar nicht ausgemacht ist, dass die Besten obsiegen.“ Mit Peter Konwitschny, dem viel Geliebten, mächtig Befehdeten, rückt zumindest die Möglichkeit näher.

Christine Lemke-Matwey

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