zum Hauptinhalt

Forum: Krankes Land

Der an Originalschauplätzen gedrehte Spielfilm erlaubt sich so viel Wirklichkeitsnähe, dass in dieser rauen Welt auch Inseln der Empathie existieren, Solidarität und Herzensklugheit: Stark: "Winter’s Bone" im Forum.

Es wird aus Grippemitteln, Dünger und Benzin zusammengebraut, war im Zweiten Weltkrieg ein Durchhaltemix für die Wehrmacht und kursiert in den USA als Droge der armen Leute. Meth oder Crank putscht auf, tötet Gehirnzellen ab, macht erst aggressiv, dann depressiv.

Rees Vater ist einer von denen, die das Zeug in den abgelegenen Ozark Mountains von Missouri herstellen, ein Drogenbrauer in einer Drogengegend. Die Polizei hat ihn auf Kaution aus dem Knast gelassen – das Haus der Familie hat er als Sicherheit eingesetzt. Wenn er nicht zu seinem Gerichtstermin erscheint, wird es gepfändet. Und Rees Mutter ist eine von denen, die apathisch in ihrem abgewetzten Sessel vor sich hin starren. Die Mutter sei krank, sagt die Tochter, ob es Crank war, sagt sie nicht.

Die 17-jährige Ree hält die Familie zusammen, beziehungsweise das, was davon übrig ist. Die Heldin von Debra Graniks Romanverfilmung „Winter’s Bone“: ein zartes, am Leben stark gewordenes Mädchen mit feinen Gesichtszügen. Die Kamera folgt ihr, wenn sie von Hütte zu Hütte stapft, die beiden kleinen Geschwister Wörter buchstabieren und schießen üben lässt, wenn sie wäscht, kocht, Holz hackt, der Mutter das Haar kämmt und unermüdlich versucht, in dieser unwirtlichen Gegend voller White-Trash-Existenzen in verrotteten Holzhäusern ein lebenswürdiges Leben zu organisieren. Wenn es im Forum einen Darstellerpreis gäbe, hätte Jennifer Lawrence ihn unbedingt verdient, wegen der Kraft, der Schutzlosigkeit und der Sturheit ihrer Figur, die sich weigert zu resignieren. Weil die Hauspfändung droht, macht Ree sich auf die Suche nach dem Vater – und stößt auf Ablehnung. Rostige Gatter, kahle Wälder, die Panik der Kälber auf der Rinderauktion, die starren Blicke der Nachbarn: Winterblicke, Warnungen, Drohungen, ein vertuschtes Verbrechen – es ist grausig, was Ree schließlich tun muss, für sich und die Zukunft ihrer Geschwister.

Graniks in Sundance ausgezeichneter, an Originalschauplätzen gedrehter Spielfilm erlaubt sich so viel Wirklichkeitsnähe, dass in dieser rauen Welt auch Inseln der Empathie existieren, Solidarität und Herzensklugheit. Als Ree wegen des Geldes bei der Army anheuern will, schickt der Offizier sie wieder weg: weil man für den Krieg einen besseren Grund braucht. Und weil Zuhausebleiben mehr Mut erfordert.

Eine dicke Nachbarin singt Country, wunderschön. Die schäbige Gegenwart, die den Jungen versperrte Zukunft – davon lässt sich ein Lied singen, nicht nur in Missouri. Unter all den Festivalfilmen über vernachlässigte, sich durchschlagende Kinder ist „Winter’s Bone“ der ergreifendste.

Heute 20 Uhr (Colosseum 1), 21. 2.,

19.30 Uhr (Babylon Mitte)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false