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Yes Men

© Berlinale

FORUM/PANORAMA: Gegen den Schock hilft Schokolade

Im Zeichen der Wirtschaftskrise: In Forum und Panorama werden die Folgen des Neoliberalismus begutachtet.

Es heißt, Filme wie „The International“ oder „Let''s Make Money“ hätten die aktuelle Krise seismographisch vorauserschnuppert. Das ist Unsinn. Die neoliberalen Desaster, die Erwin Wagenhofer in seiner „Money“-Dokumentation beschreibt, werden seit Jahrzehnten analysiert. Und die aktive Verwicklung internationaler Großbanken in den Waffen- und Verschuldungskreislauf war ein großes Thema der achtziger Jahre, wie es unter anderem Naomi Kleins Buch „The Shock Doctrine“ beschreibt. Gegen die Filme spricht das nicht, und es ist auch verständlich, dass Festivalgremien in der Programmgestaltung Aktualitäten bedienen wollen und es dann mit der Zuordnung nicht so genau nehmen: böse Banken? Passt schon.

Das Panorama hat sich gleich die „Shock Doctrine“ selbst gesichert, denn Kleins Bestseller wurde (oder besser wird) von Michael Winterbottom als Dokumentation verfilmt. Das Werk ist auf der Berlinale als work-in-progress zu sehen. Kleins These ist ja, dass die „korporatistische Allianz“ die kollektive Paralyse von Gesellschaften nach Krisen wie dem Tsunami nutzt, um in der Demokratie sonst nicht durchsetzbare Umverteilungsmaßnahmen durchzusetzen. Zum Nachteil der Armen. Doch sie macht auch Hoffnung: Weil die Völker aus den Katastrophen lernen und die Schockstrategie so etwa im heutigen Lateinamerika nicht mehr funktioniert.

Eines von Kleins Szenarien spielt im New Orleans von 2005, als das Chaos von Katrina genutzt wurde, um in großem Stil Sozialwohnungen in Privateigentum umzuwandeln. Hier setzt auch eine der Aktionen an, die Andy Bichlbaum und Mike Bonano in ihrem Film „The Yes Men Fix the World“ dokumentieren. Als Yes Men „kapern“ Bichlbaum und Bonano, eine Zwei-Mann-Spaßguerilla, mit Lust Internetseiten von großen Unternehmen, um dann auf Konferenzen mit satirischen Auftritten zu provozieren. Allerdings: Erschreckend viele der Manager nehmen auch die absurdeste Darbietung für bare Münze. In New Orleans wird ihre öffentliche Ankündigung, die gesperrten Sozialwohnungen sofort an die Mieter zurückzugeben, erst mal von der anwesenden Wohnungswirtschaft beklatscht. Der Kater kommt später.

Affirmative Subversion: „The Yes Men“ ist schon der zweite Film über das Duo, diesmal von den beiden Aktivisten selbst produziert, die sich erzählerisch bei Michael Moore bedienen, aber mit Selbstironie und Understatement glänzen. Die Undercover-Einsätze des Duos geben unterhaltsam Aufschlüsse in das Funktionieren der börsennotierten Welt. Als Bichlbaum in einem BBC-Interview als „Jude Finisterra“ von Dow Chemical verkündete, der Konzern würde endlich die Chemie-Opfer im indischen Bhopal großzügig entschädigen, sank der Börsenkurs des Unternehmens sofort.

„Garapa“ dagegen verzichtet auf jede Analyse und zeugt in seinem Schwarz- Weiß-Minimalismus von einem auch sonst zu beobachtenden Gegentrend vom Überwältigungskino zu kargen Direct-cinema-Traditionen. José Padilha, der letztes Jahr für „Tropa de Elite“ den Goldenen Bären erhielt, begleitet drei brasilianische Familien, die vom Verhungern nur ein paar Becher Zuckerwasser („garapa“) entfernt sind. Nicht einmal das von Lula da Silvas Regierung eingeführte Fome-Zero- Programm kommt hier auf dem ausgedorrten Land an. Marcela Bourseaus Handkamera ist ganz nah an den ausgezehrten Kinderkörpern und ihren schuftenden Müttern. Alkoholismus, Fatalismus und Verantwortungslosigkeit besonders der Männer perpetuieren die elende Lage.

Auch das Forum hat seinen Neoliberalismus-Film, wie es sich hier gehört mit der gebotenen Distinktion. Richard Brouillettes „Encirclement. Neo-Liberalism Ensnares Democracy“ will die Ideologie hinter den grassierenden Liberalismen erklären und breitet seine Argumentation in zehn Kapiteln von der neoliberalen Urszene um Hayek bis zu den Daytoner Verträgen aus: Dazwischen geht es um den Libertarianismus und John Locke, Think Tanks und kanadische Medienmogule, die marktkonforme Neuausrichtung der Erziehung und die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank.

Jedes für sich ein gewichtiges Thema: In der Ballung einer zweieinhalbstündigen verbalen Tour de Force aber nicht viel mehr als eine Reihe wortreich vorgetragener Behauptungen. Denn Brouillette lässt seinen Stoff in wohl austarierter Rollenverteilung von Fachexperten deklamieren, neben üblichen Verdächtigen wie Chomsky und Susan George sind auch einige hier eher unbekannte kanadische Akademiker dabei. Viel Raum zum Nachhaken und Selberdenken bleibt da nicht. Stattdessen hinterlässt „Encerclement“ ein Bild von fatalem Ausgeliefertsein, das jede Gegenwehr sinnlos scheinen lässt. Bestenfalls kramt man noch einmal „Die Schock-Strategie“ aus dem Bücherschrank und macht sich selbst ein bisschen Hoffnung.

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