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© Berlinale

FORUM/PANORAMA: Geschichten vom Groß-und-stark-Werden

Kommerziell steckt das koreanische Kino in der Krise, künstlerisch ist davon jedoch nichts zu merken. Sebastian Handke über starke koreanische Filme im Forum und Panorama.

Auf einmal steht sie vor ihm. Ob er sich wirklich freut? Sie jedenfalls nicht. „Ich will mein Geld“, herrscht sie ihn an. 3500 Dollar hat Byoung-woon sich von Hee-Soo geliehen kurz vor der Trennung vor einem Jahr und sich seither nicht bei ihr gemeldet. Ein Nichtsnutz. Und Frauenausnutzer. Wo er geht und steht, sieht man ihn sofort mit einer plaudern.

Aber pleite ist auch er. Byoung-woon zieht los, um sich Geld zu leihen. Einen Tag lang fährt Hee-soo ihren Ehemaligen mit dem Auto durchs herbstliche Seoul und lernt ihn dabei, Begegnung für Begegnung, mit den Augen jener kennen, die ihm aushelfen. In vielen kleinen Schritten entblättert Regisseur Lee Yoon-ki („This Charming Girl“) den Gemütszustand seiner beiden Helden. Bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit und Präzision er die Wahrnehmung des Zuschauers zu steuern versteht: Was man zu wissen glaubt, zerfällt dabei oder reift zu einem immer schärferen Bild. Wenn dann die traurigschöne Coda vorbeihuscht, sind einem diese unvollkommenen Menschen schwer ans Herz gewachsen, und man ist sich sicher, viel zu wissen über eine Liebe, von der doch gar nichts zu sehen war.

Bereits in seinem letzten Film „Ad Lib Night“ nutzte Lee die Eintagesreise einer Frau für subtilstes Filmwerk. Dass „My Dear Enemy“ sein bislang bester Film geworden ist, liegt an den Hauptdarstellerin Ha Jung-woo und vor allem der sensationellen Jeon Do-yeon (Goldene Palme 2007 für „Secret Sunshine“). Ihr steht offenbar ein endloses Repertoire feindseliger, genervter, verletzter Blicke zur Verfügung, in die sich Unsicherheit, Langeweile oder Pein mischen, schließlich sogar – trotz aller Gegenwehr – Zuneigung und Einsicht. Man möchte ihn noch mal sehen, den Film, einfach nur, um diese Augenarbeit zu studieren.

Dabei sein, beobachten, Zustände erfahrbar machen – darin liegt die Stärke vieler koreanischer Filme. Lee Suk-Gyungs „The Day After“ zum Beispiel über eine Frau, die ein Jahr nach ihrer Scheidung erst noch lernen muss, ihren Kummer nicht zu ignorieren. Ein Abend in einem Hotel mit Bier, Zigaretten und einer mitteilungsbedürftigen Gesangslehrerin könnte helfen.

Also muss man sich nicht sorgen um Korea? Bis vor kurzem noch eines der lebendigsten Filmländer überhaupt, liegt seine Filmindustrie heute am Boden. Während des Film-Booms dort war es zu einer Überhitzung des Marktes gekommen. Branchenfremdes Geld floss in großen Mengen, zu viele Filme übersättigten den Markt. Jetzt schlägt die Wirtschaftskrise doppelt hart durch. Schlimmer noch: Um die Bedingungen eines Freihandelsabkommens mit den USA zu erfüllen, wurde die für Kinos vorgeschriebene Quote einheimischer Filme stark herabgesetzt. Der Marktanteil fiel innerhalb von zwei Jahren von 58 auf 36 Prozent.

Die fünf koreanischen Filme des Festivals sind daher vorwiegend Low-Budget-Produktionen. Von kreativer Ermüdung kann allerdings nicht die Rede sein. Ermüdend ist nur Roh Gyeong-Taes unverdauliche Filmkost „Land of the Scarecrows“ über Umweltschmutz, sexuelle Orientierung und auseinandergerissene Rumpffamilien.

Letzteres steht auch im Mittelpunkt von Baek Seung-Bins ungleich interessanterem Spielfilmdebüt „Members of the Funeral“: Vater, Mutter, Tochter treffen sich bei einer Beerdigung. Keiner weiß von der Beziehung des anderen zu dem jungen Toten, erst allmählich kommen die Geheimnisse auf den Tisch. Baeks Film spielt mit den Zeit- und Erzählebenen: Sind die drei überhaupt eine Familie? Oder nur Figuren im Roman des Selbstmörders? Ein Film auch über den Tod und was er für das Leben bedeuten kann.

Die in den USA lebende Regisseurin So Yong Kim („In Between Days“) ließ sich für „Treeless Mountain“ von ihrer Kindheit in Pusan inspirieren: Von der Mutter bei einer lieblosen Tante sich selbst überlassen, müssen die sechsjährige Jin und ihre kleine Schwester ein neues Leben finden in einer Welt, in der sie nicht gewollt sind. Die Regisseurin gab ihre Anweisungen an die (schau)spielenden Kinder während die Kamera lief, daher wirkt ihr Tun so spontan: Das unangestrengte Agieren und die Abwesenheit jeglichen Kalküls lassen fast vergessen, dass es sich um einen Spielfilm handelt.

Die Inszenierung liegt im Schnitt: Sorgfältig rhythmisiert ist der zarte Fluss vieler kleiner Vignetten in diesem anrührenden Film über ein sechsjähriges Mädchen, dass die Kraft, ein bisschen erwachsener zu werden, aus sich selbst heraus finden muss. So wie die Kinder den Abschied ihrer Mutter nicht verstehen, bleibt auch ihre Welt unzugänglich für die Erwachsenen. Auch wir Zuschauer dürfen nur ein bisschen anwesend sein.

Nach dem Boom der Absturz: Koreanische Filme verloren zwanzig Prozent Marktanteil

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