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Fotograf Joel Sternfeld: Land der Riesen

In der Galerie C/O-Berlin blickt der US-Fotograf Joel Sternfeld auf ein abgründiges Amerika.

Texas, 1979. Auf dem Rücken eines Jumbos ist die Columbia-Raumfähre in der Luftwaffenbasis von San Antonio gelandet. Tausende bewundern das Schauspiel. Ein im Vordergrund isolierter Scheinriese blickt von erhöhtem Standpunkt auf die Szene – und wirkt wie von der Spezialeffektabteilung eines Hollywoodstudios ins Bild montiert. Was ist nun groß? Der Triumph der Raumfahrt? Der einzelne Mensch?

Nicht nur in einer Zeit, in der die Space-Shuttle-Flotte geschlossen ins Museum entsorgt wird, wecken Joel Sternfelds Fotografien Zweifel an der Fortschrittseuphorie früherer und womöglich kommender Jahrzehnte. Mit distanziertem Blick zeichnet der 1944 in New York geborene Fotograf seit fast fünfzig Jahren ein skeptisches Bild Amerikas und seiner Landsleute.

Die Zeit ist wie eingefroren. Und doch ist alles im Fluss – Bild um Bild, Serie um Serie. So widersprüchlich wirkt die umfangreiche Schau mit Fotografien von Joel Sternfeld. Im Essener Folkwang Museum vor gut einem Jahr war die Ausstellung noch einigermaßen neutral mit dem Titel „Farbfotografien seit 1970“ überschrieben. Bei C/O Berlin heißt die Schau nun – mit nahezu deckungsgleicher Bildauswahl – „Retrospektive“. Dabei ist Sternfeld kaum der Mann, der zurückblickt. Im nächsten Jahr, verkündete er bei der Eröffnung im ehemaligen Postfuhramt, will er wieder auf Reisen gehen.

Auf einer mehrjährigen Reise – zwischen 1978 und 1986 – sind auch die Bilder der Serie „American Prospects“ entstanden. Sternfeld untersucht hier die Beziehung zwischen Mensch und Umgebung, und nicht nur der Riese am Rollfeld wirkt unbehaust. Ein Zirkuselefant ist auf einer Landstraße zusammengebrochen, drei farbige Hausangestellte warten am Rand gepflegter Vorgärten in Atlanta, Georgia, auf den Bus. Entfremdung im Sinn von Desinteresse herrscht in dem berühmten Bild jenes Feuerwehrmanns, der sich an einem Verkaufsstand für Kürbisse bedient, während im Hintergrund ein Haus abbrennt und seine Kollegen mit der Wasserspritze die Flammen zu bekämpfen versuchen.

Für die „American Prospects“ war Sternfeld zwischen 1978 und 1986 mit seinem VW-Bus unterwegs, immer die Großformatkamera dabei. Die hochaufgelösten Bilder erinnern an gemalte Genre- und Historienbilder. Ganz anders wirken viele Fotos des zuvor kaum gezeigten Frühwerks, Street Photography zumeist, auf Kleinbild belichtet. Sternfeld fing hier eine Lebenslust auf, die den Menschen späterer Serien abhandengekommen scheint, etwa in der von August Sanders „Menschen des 20. Jahrhunderts“ inspirierten Porträtreihe „Stranger Passing“ (1987 bis 2000).

Gesättigte und blasse Farben, Elektronenblitz in New York, Dunst über dem Mississippi-Delta: Verglichen mit anderen Größen der amerikanischen New Color Photography, etwa Stephen Shore oder William Eggleston, zeigt sich Sternfeld im Umgang mit Farbe und Licht überaus flexibel. Ein überragender Techniker ohne Anflug von Technikfetischismus. Monochrome Tendenz weisen die Riesenformate des „Oxbow Archive“ (2005 bis 2007) auf, reine Landschaftsaufnahmen, die im Kontrast zu Thomas Coles berühmt-heroischem „Oxbow“-Gemälde von 1836 deutliche Narben der Zerstörung durch den Menschen aufweisen.

Für seine ähnlich gesellschaftskritisch motivierte Arbeit „When it changed“ wechselte der Fotograf zum Medium Video, bleibt aber bei Standbildern. Er nahm 53 Porträts von Teilnehmern einer UN-Klimakonferenz in Montreal auf und ergänzte die visuelle Ebene durch pessimistische Prognosen in Form eines Lauftextes. Was stimmt bedenklicher, die düsteren Hochrechnungen oder das geballte Stirnrunzeln der Experten? Hochglanzfotografie geht jedenfalls anders – und die wird Joel Sternfeld wohl auch in Zukunft kaum interessieren.

Mit der Sternfeld-Ausstellung geht für C/O Berlin ein schwieriges Jahr zu Ende. Die Hoffnungen auf ein Quartier im Monbijoupark haben sich endgültig zerschlagen. Vom ehemaligen Postfuhramt weiterhin als Domizil muss sich die Galerie ebenfalls verabschieden, denn die neuen Eigentümer, ein Unternehmen zur Herstellung medizinischer Instrumente, haben eigene Pläne für das historische Gebäude. Die fieberhafte Suche nach einem Quartier in der eigenen Nachbarschaft geht damit weiter.

Nur so viel ist gewiss: Zum Jahresende wird die bislang privatwirtschaftlich geführte Galerie in eine eigene Stiftung umgewandelt. Gewinn habe das Unternehmen ohnehin nie eingefahren, so heißt es. Auf diese Weise erhalte es endlich die Organisationsform, die seiner eigentlichen Bestimmung entspreche und könne auch Fördermittel beantragen. Dass C/O Berlin längst in den Genuss einer verdeckten Förderung gekommen war, erfuhren die Betreiber bei ihrer Suche nach einer Bleibe. Die bisher von ihnen verlangte Miete war mehr als moderat. Die Preise rundum in Mitte bewegen sich längst in anderen Kategorien.

C/O Berlin, Oranienburger Str. 35/36, bis 13. Januar; Mo – So 11 – 20 Uhr, www.co-berlin.com

Jens Hinrichsen

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