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Fotografie: Das Biest in ihr

Leben zwischen Deutschland und der Welt: ein Porträt der außergewöhnlichen Fotokünstlerin Gundula Schulze Eldowy, die die wohl trostlosesten Bilder der DDR schuf.

Sie war so etwas wie die Diane Arbus der DDR. Gundula Schulze Eldowy hat den verendenden Oststaat so hart, so schwermütig, so schwarzhumorig fotografiert wie keine andere: Neugeborene und Sterbende, Krüppel, Freaks, Trinker und gestrandete Träumer, gesellschaftliche Außenseiter. Den Asozialismus. Die Nackten und die Toten. Ohne Scham, aber nicht schamlos.

Nun ist sie mit drei Ausstellungen in Berlin zu sehen, in den beiden Kunsträumen des Bundestags im Marie-ElisabethLüders-Haus und ab Freitagabend im Postfuhramt von C/O Berlin; dazu gibt es drei neue Bücher der Fotografin und Autorin, die von New York bis Tokio in den großen Sammlungen der Welt präsent ist und prämiert wurde. Aber deren Leben und Werk hierzulande für viele noch zu entdecken ist.

Als Fünfzehnjährige trampt die gebürtige Erfurterin erstmals nach Berlin, die Eltern sind SED-Mitglieder, der Vater Beamter, die Mutter in der Leitung eines Elektronik-Kombinats, in der Partei nur Mitläufer im Stillstand. Sie legen der Tochter keinen Stein in den Weg, als sie mit 17 ihren eigenen Lauf nimmt, so weit es geht, im eingemauerten Land. Gundula zieht allein nach Berlin, nahe dem Alexanderplatz und dem einstigen Scheunenviertel, wo sie, die früh schon Literaturbegeisterte, auf die allerletzten Nachfahren und Überlebenden der Welt des Döblin-Berlinromans und seiner Huren, Luden, Kleinhändler, Juden, Nachtschatten trifft.

Das blonde kräftige Mädchen scheint selbst ihre abgebrühtesten Mitmenschen zu bezaubern. Noch heute, wenn sie mit ihrer hellen Stimme sagt, „hier ist die Gundula“, dann öffnen sich ihr alle Türen. „Wohin ich gehe, treffe ich immer gleich auf die Brennpunkte. Auch auf das sonst verborgene Leben“, sagt Schulze Eldowy – die sich heute das halbe Jahr in einer mit den Bildern ihres Lebens bunt, dicht, abenteuerlich gefüllten Dachatelierswohnung gegenüber dem Pankower Rathaus um ihr Archiv und weltweite Ausstellungsprojekte kümmert. Die andere Hälfte des Jahres lebt Gundula Schulze E., wenn sie nicht gerade auf Reisen ist, mit ihrem Mann, einem indigenen Keramikkünstler vom Volk der Moche, einer der ältesten Kulturen Südamerikas, auf ihrer Hacienda in Peru. Schaut auf Wüste, Dschungel, die Anden und Reste der sagenhaften Moche-Pyramiden. „Pyramiden sind mein Fall!“

Sieben Jahre, zwischen 1993 und 2000, hat sie hauptsächlich in Ägypten gelebt, am Rand von Kairo mit Blick auf die Cheops-Pyramide. Und dank ihrer Mischung aus Charme und Hartnäckigkeit hat sie den mächtigen (männlichen) Antikeverwaltern dort die Genehmigung abgeschwatzt, immer mal wieder Aufnahmen der im Halbdunkel eingesargten Pharaonen-Mumien zu machen. Es sind tolle, riesige, geisterhafte Farbfotoporträts wie aus einem Zwischenreich dreitausendjähriger Zombies. Sie ruhen in Pankow, waren zuletzt auf der Biennale in Istanbul zu sehen und warten, vielleicht, auf eine Präsentation in Berlins Ägyptischem Museum.

Vom Dunkel ans Licht ist Gundula Schulzes Lebensmotto. Eldowy, ihr Künstlername, meint „el dowy“, arabisch, sagt sie, „das Licht“. Das helle Mädchen hat auch die Schwärzen der DDR nur gesucht, um sie, vor dem restlosen Verlöschen, noch einmal zum Leuchten zu bringen. Berühmt ist dabei die Bildserie der Rentnerin Elsbeth Kördel geworden, die sie 1979 zusammengesunken, doch mit noch lodernden Augen und den Spuren einstiger Schönheit auf einer Bank am Kollwitzplatz entdeckt, anspricht, ihr Vertrauen gewinnt. „Tamerlan“ hatte sie märchenhaft mongolisch ihr verstorbener Mann genannt. Gundula begleitet die alte Frau acht Jahre lang, am Ende werden Tamerlan die Beine amputiert, doch die Fotografin porträtiert die Greisin auch dann, mit ihren Stümpfen, nackt, auf dem Armenbett, im Sterbeheim, mit dem Einverständnis Tamerlans: die so, nur so überlebt.

Es sind diese Bilder, die sie am 8. Juni 1985 Robert Frank vorlegt. Der amerikanische Bildkünstler besucht an diesem Tag Ost-Berlin, und die ambitionierten ostdeutschen Fotografenkollegen präsentieren dem Weltstar ihre Mappen. Helga Paris, Roger Melis, Sibylle Bergemann, Harald Hauswald. Als letzte die Jüngste. Und der 60-jährige Robert Frank schaut auf die kühnen, erschreckend mitmenschlichen, unerbittlichen Fotos und dann auf die genau halb so alte, etwas pausbäckig freundliche Blonde: „Das hast du gemacht?“ Von da an beginnt die bis heute anhaltende Freundschaft mit Frank und dessen Frau June. Als er auch Gundulas Aufnahmen aus Walzwerken, von Schlachthöfen, Maskenbällen, Paraden oder rußigen Ruinenlandschaften sieht, die Leipzig, Berlin oder Dresden heißen, sagt Frank: „The beast in you is Germany!“

Ein befreundeter Philosophiestudent aus West-Berlin schmuggelt für sie fortan Bilder und Briefe an Robert Frank nach New York, doch irgendwann fliegt das auf. Die Stasi verdächtigt Gundula als CIA-Agentin, wie später ihre Akte zeigt, steht im September 1989 ihre Verhaftung bevor, zu der es in den Vorwende-Unruhen nicht mehr kommt. Doch noch nach dem Mauerfall stehen „Marder 1 - 3“, die Wartburgs der Stasi, vor ihrem Haus.

Jeder Fotograf ist notabene ein Voyeur. Aber Gundula Schulze macht ihren Beruf von Anfang an nicht auf fremde Kosten. Die Menschen auf der anderen Seite ihres Objektivs bleiben immer Subjekte. Bildwürdig. Fragwürdig mögen die nicht ganz so originellen Bilder vom „origine du monde“, von den geöffneten Schößen gebärender Frauen sein, die sich jetzt im Zyklus „Der große und der kleine Schritt“ in der Ausstellung bei C/O Berlin im Postfuhramt finden. Doch ihr geht es „um Tod und Leben, Werden und Vergehen“. Und selbst das gruslige Foto eines halb vermummt, vorm Röntgenschirm einer Kinderklinik wie an einem Metallgalgen aufgehängten Babys ist noch das Dokument eines Überlebenskampfes. Des Versuchs: zu heilen.

Diese Bilder bleiben fern jener Ruinenromantik verfallender DDR-Innenstädte oder der alkoholisch-genialischen Innenschau einer Prenzlberg-DDR- Künstlerbohème, die Teile der heute museumsgängigen Ost-Fotografie geprägt haben. Gundula Schulze ist nie miljöh-selig, sondern welthungrig. Das Biest in Kopf & Herz der einzelgängerischen Fotografin will weiter ausbrechen. Suchtdabei auch die Besänftigung im Raffinierten, Elegischen, Schönen. Hiervon zeugen in den Kunsträumen des Bundestages im Lüders-Haus am Spreebogen vor allem die großformatigen byzantinischen Freskenbilder aus Istanbul, bei denen die Fotografin die steingrauen Lücken der abgeblätterten Originalfresken mit Goldflocken belegt hat und so, als Unikate, künstlerisch-künstliche Ikonen schafft. Oder die fabelhaften Doppelt- und Dreifachbelichtungen ihrer New-York-Bilder, die in Gemälden von Tizian, Velasquez und Goya noch Straßenszenen spiegeln. „Ganz Manhattan“, wo sie mit Robert Franks Hilfe nach der Wende drei Jahre gelebt hat, sei doch „ein Spiegelkabinett“.

Auf dem Jungfrauenfriedhof in Moskau hat sie bei 25 Grad Kälte die eingefrorenen Fotos der einst Lebenden auf den Grabsteinen aufgenommen. Das Eis zum Schmelzen gebracht, lässt Gundula Schulze die Verstorbenen wie hinter Glas, wie auf alten Daguerrotypien wiederauferstehen. Als junges Mädchen, sagt sie, habe sie so gerne schon Balzac gelesen. Nun inszeniert sie, illustriert sie, auf Leben und Tod, ihre eigene Comédie humaine.

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