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Kultur: Fotografieren wie Rembrandt

Küche der Gegenwart: Münchens Pinakothek zeigt Jeff Walls mächtige Leucht-Bilder.

Es ist eine Küche ganz in Ocker, wie das in den 1980er Jahren modern war. Das eine Mädchen auf dem Foto blickt gedankenverloren vor sich hin, eine kleine Glasschüssel mit orangen Jell-O-Kügelchen in der Hand. Das sind amerikanische Gelatine-Süßigkeiten. Das zweite, kleinere Mädchen sitzt auf dem dunklen Boden an die Wand angelehnt, das Gesicht wirkt apathisch, die Augen sind fast geschlossen. Ein paar Kügelchen liegen auf ihrer geöffneten Hand, andere sind auf dem Boden verstreut. Es ist die triste Szenerie zweier sich selbst überlassener Kinder, wie sie in vielen Häusern der Wohlstandswelt anzutreffen ist. Scheinbar nichts Besonderes. Der Küchentisch ist mehlig-staubig, ein Teller mit Obst steht darauf. Kaffeetassen sind zu sehen, eine Teekanne, Sektgläser in einer beleuchteten Vitrine. Zwei Tablettendosen, Geschirrhandtücher, zwei ziemlich achtlos an die Wand gepinnte Kleinkind-Malereien.

Das „Jell-O“ betitelte Bild des kanadischen Fotografen Jeff Wall aus dem Jahr 1995 ist Teil einer Ausstellung, die derzeit in der Münchner Pinakothek der Moderne gezeigt wird. Die Dias sind in Leuchtkästen angebracht, wie man sie sonst als Werbung kennt. Dadurch erhalten sie ihr kraftvolles Licht.

Auf den Fotos aus der Innen- und Außenwelt des Alltags wirkt alles wie achtlos dahingeworfen. Ja, das könnte fast die Küche der Nachbarn im dritten Stock sein, wenn Gummibärchen statt der Jell-Os verwendet worden wären. Man glaubt, „The Pine on the Corner“ zumindest so ähnlich schon öfter gesehen zu haben – die monströs große Kiefer vor den heruntergekommenen zweistöckigen Häusern. Es ist eine winterliche Straßenszene aus der flachen Vorstadt, grauer Schneematsch liegt auf dem Boden, im Hintergrund zeichnen sich schneebedeckte Berge ab. Die am Straßenrand geparkten Autos zeigen, dass man wohl in den USA oder in Kanada ist, Jeff Wall datiert das Bild auf 1990. Die Stillleben-Miniatur „A sapling held by a post“ wiederum scheint irgendwie aus dem eigenen Garten zu stammen – ein neu angepflanzter Baum ist an einen Stützpfosten angebunden.

Fotografie lebt vom Augenblick und davon, dass jemand zum richtigen Zeitpunkt das richtige Bild vor Augen hat und auf den Auslöser drückt. Fotografie ist eine Arbeit, die in Hundertstel-Sekunden häufig auch den Zufall abpasst. Nicht so bei dem 67-jährigen studierten Künstler Jeff Wall, dessen Werke als „Ikonen“ zeitgenössischer Fotografie tituliert werden. Da ist nichts dem Zufall überlassen. Alles ist aufwendig so aufgestellt und inszeniert, wie Wall das will. Er ist ein Perfektionist, der jedem Detail seinen Platz zuweist, jedem Stück halb aufgebrauchter Seife genauso wie den Menschen, die auf dem extrem flachen und fast fünf Meter breiten Foto „Restoration“ ein Rundum-Panoramagemälde restaurieren.

Jeff Wall, vielfach ausgestellt und geehrt, betreibt Fotografie wie Malerei. Bisher hat er nur 166 Fotos veröffentlicht. Manche verändert er auch immer wieder ein bisschen mit den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung. Er arbeite „hart, aber nicht schnell“, sagt Wall. Er dreht damit fotografische Eigenschaften auf den Kopf wie eben die Dynamik und das Einfangen der guten Szene mit Serien-Klicks. Und Jeff Wall setzt mit der begrenzten Anzahl seiner freigegebenen Arbeiten auch einen Kontrapunkt zur milliardenfachen Knipserei mit Digitalkameras.

In seinen Bildern macht er vielfache Anspielungen auf Bücher, Gemälde und andere Kunstwerke. Dem Porträt „The Smoker“ etwa, das seinen eine Zigarette rauchenden Sohn zeigt, wird bescheinigt, dass es an Rembrandt erinnere. So sind seine Fotos auch eine Art Ratespaß für das kulturell ambitionierte Bildungsbürgertum.

Inhaltlich aber zeigen Jeff Walls Fotos eine deprimierende, abgewrackte und teils gewalttätige Welt der Moderne – die meist schmutzigen Farben sind durch das Licht in den Kästen grell erleuchtet. Da ist das Paar, dessen Vorstadthaus in „An Eviction“ von Polizisten zwangsgeräumt wird. Da sitzt der Mann mit dem Dolch im Rücken, „The Thinker“, wie eine Statue in der Höhe auf einem Betonstein und schaut auf eine Großstadtsilhouette, Tankzüge und eine Ölraffinerie. „Doorpusher“ stellt womöglich einen Einbrecher auf frischer Tat dar. In „A Fight on the Sidewalk“ kämpfen zwei junge Männer, während ein dritter zuschaut. Ein graues zugesperrtes Tor ist im Hintergrund zu sehen, schwarze Graffiti an der Mauer, Taubenkot auf dem Gehweg.

München ist stolz auf diese Jeff-Wall-Schau, denn die 19 Werke stammen allesamt aus Münchner Sammlerbesitz. Der Fotograf selbst hat beim Platzieren und Aufhängen in den drei Räumen der Pinakothek kräftig mitgearbeitet. Einen kleinen Scherz wenigstens erlaubt sich der Kanadier mit einem Foto, auf dem eine Männerhand ein komplett verschmutztes weißes Handtuch in eine Waschmaschine hineinsteckt oder herausnimmt. „Just Washed“ heißt das Werk – frisch gewaschen.

„Jeff Wall in München“, bis 9. März, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40

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