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Kultur: Frankfurter Kranz Dem Urknall lauschen

Bevor immer am Mittwochvormittag der Trubel in den Hallen der Frankfurter Buchmesse beginnt, schlägt die Stunde der Redner. Buchmessendirektor Jürgen Boos, Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder und ein paar andere Buchmächtige erklären den Stand der Dinge, auf dem Buchmarkt, auf der Messe, in der Branche überhaupt, und skizzieren die Zukunft.

Bevor immer am Mittwochvormittag der Trubel in den Hallen der Frankfurter Buchmesse beginnt, schlägt die Stunde der Redner. Buchmessendirektor Jürgen Boos, Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder und ein paar andere Buchmächtige erklären den Stand der Dinge, auf dem Buchmarkt, auf der Messe, in der Branche überhaupt, und skizzieren die Zukunft. Der stets schön jungenhaft wirkende 51-jährige Boos ist dabei derjenige, der die Zukunft tatkräftig-optimistisch angeht. Er spricht von den „vollkommen neuen Zusammenhängen, Produktideen und Geschäftsmodellen“, von einer Entwicklung, die für ihn nichts weniger als der „Urknall im Publishing“ ist. Er weiß, dass der „Bücherwurm in die Cloud“ wandert (und nicht kriecht, also aufrecht, mit Haltung) und stellt bei seiner Eröffnungspressekonferenz eine „Roadmap to publishing trends“ vor, die sich allerdings selbst nach mehrmaligem Studium nur schwer entschlüsseln und verstehen lässt. Ja, auch für diese „Roadmap“ braucht es „Neugier, Offenheit und die Lust am Experiment“, all das, was Boos vor allem in der „internationalen Publishing Branche“ ständig am Wachsen sieht.

Und Honnefelder? Gibt den Warner und Mahner, fordert politische Rahmenbedingungen, sei es in Fragen des Urheberrechts, sei es für den Handel, insbesondere den stationären, der wieder Umsatzrückgänge von fast fünf Prozent zu beklagen hat. Aber Honnefelder glaubt auch, „dass jetzt die Stunde der inhabergeführten Buchhändler schlägt.“ Vieles bleibt vage, was in diesen ersten beiden Tagen der Messe über die Zukunft der Branche gesprochen wird, den Masterplan für den Strukturbruch aufgrund der Digitalisierung hat niemand. Weshalb viele herumprobieren, wie beispielsweise der Verlag Kiepenheuer & Witsch mit seiner „KiWi e-book extra“-Reihe, dessen jüngster, nur als e-book erhältlicher Titel Frank Schirrmachers und Giovanni die Lorenzos Gesprächsbuch „Tun oder lassen. Nachdenken über unsere unentschiedene Generation“ ist.

Geradezu als massive Trotzreaktion mutet es dagegen an, wenn der deutsche Taschenbuchverlag (dtv) ein Buch über den deutschen Widerstand im Nationalsozialismus mit über 2000 Seiten veröffentlicht. Sabine Friedrich hat dieses auf realen Figuren und realen Begebenheiten basierende Romanungetüm mit dem Titel „Wer wir sind“ geschrieben, bei der Buchvorstellung sagt sie, dass sie sich kurzgefasst habe. Über ihre Figuren „wäre womöglich noch viel mehr zu sagen gewesen.“

Der Verlag war sofort nach dem Studium des Manuskripts einverstanden, von Kürzungen oder Eingriffen sei nie die Rede gewesen, erklärt Friedrichs Lektorin Bianca Dombrowa. Auch das Buch in einen Schuber auf mehrere Bände zu verteilen, hätte nur die falschen Signale gesetzt. Immerhin: Das e-Book von „Wer wir sind“ kommt in fünf Teilen und Sinneinheiten heraus. Primär wird auf die Fähigkeit der Analogleser gesetzt, sich einzurichten und möglicherweise beim mehrmaligen Lesen den Eindruck zu gewinnen, den Dombrowa nach dem vierten Durchgang hatte: „Schade, jetzt sind es nur noch 400 Seiten, dann ist es schon wieder vorbei.“ So verkauft dtv womöglich wirklich die 26 000 Exemplare der Startauflage. Gerrit Bartels

Unsere Kolumne „Frankfurter Kranz“ beschäftigt sich bis Sonntag täglich mit Merkwürdigkeiten der Messe.

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