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Kultur: Frau Merkel

Eine

von Peter von Becker

Bei der letzten Bahnfahrt im alten Jahr erklang, wie das jetzt so üblich ist, irgendwann im Lautsprecher die Stimme des Zugführers. „Mein Name ist Herr Wunder, ich begrüße alle in Berlin Bahnhof Zoo neu zugestiegenen Gäste ...“

Das mit dem Bahnhof Zoo werden wir im ICE bald auch nicht mehr erleben. Daran kann der Zugführer trotz seines schönen Namens nichts ändern. Aber dass Herr Wunder sich selber als „Herr“ ansprach, das wunderte mich doch. Obwohl die neue Sitte schon seit einigen Jahren grassiert – nicht nur im Zug, bei der Telefonauskunft oder bei anderen Hotlines. Fragt man in Kaufhäusern oder Hotels einen Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin trotz des entsprechenden Schildchens nach ihrem Namen (weil man seine Brille nicht aufhat oder der scharfe Blick auf die Brust gegenüber indezent dünkt), so erhält man oftmals die Antwort: „Ich bin Frau Müller.“ Oder „Herr Schmidt“. Das sagen sie einem ganz leibhaftig. Als ob ihr Geschlecht sonst zweifelhaft wäre.

Vielleicht glauben Angestellte auch, damit besonders höflich und irgendwie vornehmer zu wirken. In Wahrheit muss uns das als Gast oder Kunde irritieren. War es bisher doch gerade ein selbstverständlicher Ausweis der Höflichkeit, den anderen mit Frau oder Herr und dem Namen anzureden. Wer sich nun vorher schon selbst als herrlich oder fraulich bezeichnet, wirkt dagegen: irgendwie wichtigtuerisch, albern oder gar peinlich. Fast peinlich (oder gar wichtigtuerisch) erscheinen mir umgekehrt Briefe, die einen mit „Sehr geehrter Peter von Becker“ anreden. Diese Halbvertraulichkeit will überspielen, dass man miteinander noch nicht als „Lieber“ plus Vor- und Nachnamen verkehrt; und sie unterschlägt gegenüber dem „Sehr geehrten“ (und eigentlich Fremden) den Herrn. Oder die Dame = Frau. Man fragt sich auch, ob solche Briefschreiber sich mittlerweile nur noch selbst mit Herr oder Frau anreden.

Auf der Rückfahrt nach Berlin begrüßte mich im ICE übrigens eine Frau. Eine Frau als Frau ohne „Frau“. Stattdessen einfach mit ihrem Vor- und Nachnamen. Das wirkte so freundlich und kultiviert, dass ich vergessen habe, ob sie – endlich mal! – eine ICE-Zugführerin war. Wieder in Berlin rufe ich Ende Dezember bei einer Auskunft an, und es meldet sich: „Frau Merkel“. Da ist man doch irgendwie verblüfft. „Sie sprechen mit Frau Merkel.“ Spontan wollte ich sagen: „Tatsächlich?“ Und: Hallo, was macht denn der neue Job?

Immerhin zeigt sich, dass es, rein sprachlich betrachtet, auch heute noch so etwas wie Fortschritt gibt. Die meisten Kommentatoren, die bei Schröder früher nie von „Herrn Schröder“ sprachen (es sei denn: ironisch), sie haben inzwischen aufgehört, andauernd von „Frau Merkel“ zu reden. Die ist jetzt „Bundeskanzlerin“. Oder schlicht: Merkel. Mit und ohne Vornamen. Es braucht keinen Geschlechtshinweis mehr. Wir schreiben im Feuilleton ja auch nicht von Frau Lampe, Frau Jelinek oder Frau Berben. Da klingelt nach Neujahr das Telefon. Es ist meine Lebensversicherung aus Hannover, wegen einer Rückfrage. „Hier spricht Frau Schröder.“

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