zum Hauptinhalt
Erst Erfolg, dann Exitus. Die Rossini-Inszenierung „Petite Messe“ von Nico and the Navigators.

© Maik Schuck

Freie Szene: Fluch der Gießkanne

Berlins Freie Szene braucht neue Fördermodelle und klare kulturpolitische Bekenntnisse. Das ist nicht schwierig – und auch nicht teuer.

Wie nach einem Todesurteil fühlt sich Georg Scharegg, der Leiter des Berliner Theaterdiscounters. „Bloß dass der Richter ausdrücklich die Hoffnung auf Begnadigung ins Urteil geschrieben hat“. In seinen Augen eine schizophrene Situation.

Im August hat die von der Kulturverwaltung eingesetzte Jury ihr Gutachten zur Konzeptförderung für die Jahre 2015 bis 2018 vorgelegt. Es geht um einen Etat von rund viereinhalb Millionen Euro. Vor allem aber: um Planungssicherheit und Existenzen. Die freie Theater- und Tanzszene Berlins blickt alle vier Jahre gebannt auf diese Entscheidungen. Diesmal aber hat sie zum Protest aufgerufen. Die Frage nach neuen Fördermodellen und natürlich auch die Forderung nach mehr Geld – das beherrscht derzeit die Kulturszene. Am kommenden Montag ist im Abgeordnetenhaus die zweite Lesung für den Kulturetat 2014/15.

Die Spielstätte, die Georg Scharegg im ehemaligen Fernmeldeamt an der Klosterstraße betreibt, ist vorerst nicht zur weiteren Förderung empfohlen worden. Nicht etwa, weil das schmal budgetierte Haus schlechte Arbeit leistet, im Gegenteil. Sondern weil das Geld im Topf nicht gereicht hat. Die überraschende Volte: Für den Fall, dass die Konzeptförderung nachträglich durch die Haushälter aufgestockt werden sollte, empfehlen die Juroren den Theaterdiscounter als ersten Nachrücker. Dann mit einem Etat von 300 000 statt der bisherigen 150 000 Euro.

Dieses Hopp oder Top ist ein klarer Warnruf der Juroren an die Kulturpolitiker. Und zugleich ein gefährliches Spiel. Was, wenn keine zusätzlichen Mittel fließen? Das Beispiel des Theaterdiscounters – eine der wichtigsten Plattformen für experimentelles Sprechtheater und die Nachwuchsarbeit der freien Szene in der Stadt – zeigt vor allem eins: Berlins Fördersystem hat dringenden Reformbedarf.

Zum einen ist der Etat der Konzeptförderung zu gering, um wirksam gestalten zu können. Noch jede Jury hat das zuletzt beklagt. Die Unterfinanzierung ist spätestens augenfällig, seit 2009 ein eigener Haushaltstitel für das Renaissance-Theater geschaffen wurde, die Bühne dafür aber ihre zwei Millionen Euro aus der Konzeptförderung mitnehmen durfte. Was bleibt, ist Mangelverwaltung nach dem Gießkannenprinzip. Zum Gedeihen reicht’s für keinen. Und die Gruppen, die in die Konzeptförderung aufsteigen – wie jetzt die Compagnie Toula Limnaios und She She Pop – ziehen wiederum ihre Mittel aus der Basisförderung ab.

Dort gibt es künftig 300 000 Euro weniger zu verteilen. Auch keine Lösung. Sondern Förderpolitik nach dem Prinzip von Heiner Müllers „Der Bau“: hier ein Loch stopfen, um dort eins zu reißen. Dazu kommt, dass die Berliner Theater- und Tanz-Szene sich in den vergangenen Jahren stark ausdifferenziert und internationalisiert hat. Mit den bisherigen Mitteln lässt sich darauf nicht angemessen reagieren. Im Konzepttopf wird zusammen gefördert, was nicht zusammengehört: das Theater im Palais neben Rimini Protokoll, das Kleine Theater am Südwestkorso neben Constanza Macras.

Nico and the Navigators sollen gar keine Förderung mehr bekommen

Erst Erfolg, dann Exitus. Die Rossini-Inszenierung „Petite Messe“ von Nico and the Navigators.

© Maik Schuck

Das ist auch das Problem, vor dem Nico and the Navigators stehen. Die Gruppe der Regisseurin Nicola Hümpel hat vor 15 Jahren begonnen, sich mit eigensinnig-skurrilen Offproduktionen einen Namen zu machen. Sie ist mittlerweile aber zu einer europaweit vernetzten Compagnie herangewachsen, die mit experimentellem Musiktheater an der Schnittstelle zur Oper Pionierarbeit leistet. Wie zuletzt etwa mit der Rossini-Inszenierung „Petite Messe“. Die Produktionen sind technisch aufwendig und teuer. Nicht zu vergleichen mit den Arbeiten anderer Theater und Gruppen in der Konzeptförderung. Und nicht zu stemmen mit den 100000 Euro, die Nico and the Navigators bislang erhalten. Aber der Etat, den sie bräuchten, ist aus der Konzeptförderung nicht zu realisieren. So wie die Dimension ihrer Inszenierungen die Möglichkeiten der meisten Spielstätten in der Stadt übersteigt.

Das Radialsystem V wäre dafür ein idealer Ort. Doch das Haus verfügt nicht über eigene Mittel, um Nico die Bühne zu bieten. Was folgt? Die Navigators sollen fortan gar keine Förderung mehr erhalten. Was trotz der geringen Höhe ihrer Subventionen bedeutet: Die Basis bricht weg. Das Berliner Büro wird geschlossen. Die Mitarbeiter werden entlassen, die eingelagerten Bühnenbilder verschrottet. Damit entsorgt man eine Gruppe, die in den vergangenen vier Jahren auch durch ihre internationalen Gastspiele einen Umsatz von nahezu zwei Millionen Euro erspielt hat. Und deren Zuschuss bei 45 Euro pro Sitzplatz liegt. Von solchen Quoten können große Opernhäuser nur träumen.

Man sollte meinen, wenigstens Franziska Werner wäre glücklich. Die künstlerische Leiterin der Sophiensäle darf sich immerhin freuen, dass ihr Haus ab 2015 mit jährlich 905 000 statt bisher 750 000 Euro gefördert werden soll. Allerdings rechnet sie einem ziemlich plausibel vor, dass allein für Miete und Personalkosten schon mal 600 000 Euro ausgegeben sind. Das bedeutet, dass die Sophiensäle auch künftig keinen Etat haben, um wichtige Festivals wie die Tanztage oder Freischwimmer aus eigener Kraft zu stemmen. Dass auch künftig Gruppen das Budget für Technikerstunden und Werbung selbst mitbringen müssen. Werner ist dabei klar, dass aus der Konzeptförderung nicht mehr Geld fließen konnte. Aber sie sieht die Sophiensäle dort ohnehin falsch aufgehoben. „Es gibt einen Sammel-Haushaltstitel für Boulevardbühnen“, schlägt sie vor, „warum nicht auch für die Anker-Institutionen der freien Szene?“ Wenn ihr Haus angemessen ausgestattet wäre, „würde das über 1000 Künstlern zugutekommen“. Der Verstärker-Effekt könnte freilich auch am Ballhaus Ost, am Theaterdiscounter, am Heimathafen Neukölln, am Ballhaus Naunynstraße und an anderen Spielstätten greifen.

Die Forderung nach mehr Geld aus der freien Szene, die derzeit ihre breite Protestkampagne in Berlin fährt, findet ja durchaus Gehör. Die Sympathie reicht bis zu einem besonnenen Finanzpolitiker wie dem CDU-Haushälter Christian Goiny. Der hat zwar die Bedürfnislagen und Zwänge der gesamten Stadt im Blick – von der Schuldenbremse bis zur schimmelnden Schule –, sagt aber klar: „Das Anliegen der freien Szene halte ich durchaus für gerechtfertigt“. Denkbar wäre in seinen Augen etwa eine prozentuale Beteiligung der freien Szene an den erwarteten Einnahmen aus der City Tax.

Es braucht hier keine Abermillionen. Sondern klare kulturpolitische Bekenntnisse. Welche Produktionsorte, Gruppen, Künstler sind uns wichtig? Sind die Forderungen nach Mindestlöhnen bei senatsgeförderten Projekten erfüllbar? Niemand ist geholfen, wenn nur der nächsten Jury die Gießkanne in die Hand gedrückt wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false