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Kultur: Freies Fernsehen

Dario Fo gründet einen Sender gegen Berlusconis Medienmacht

„Unser Name ist Programm“, erklärt Dario Fo. „Wir nennen den neuen Kanal ,Atlantide-TV’, weil wir uns diese untergegangene Kultur als friedliebend und kulturliebend vorstellen.“ Wenn Dario Fo von seinem „neuen Kind“, dem Atlantis-Fernsehen, spricht, dann tut er das mit seiner typischen Verve. Der Literaturnobelpreisträger gestikuliert heftig mit den Händen, zieht die buschigen Augenbrauen hoch und spricht besonders schnell: „Auch Italien ist in einem gewissen Sinn Atlantis, denn auch bei uns geht die Liebe zur Kultur unter und wird das Opfer von etwas Neuem.“

Dieses Neue, das ist für ihn Silvio Berlusconi und dessen schier unbegrenzte Medienmacht – „der wir mit unseren Mitteln etwas entgegensetzen wollen“. Zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Franca Rame, und dem ebenfalls schauspielernden Sohn Jacopo ist Fo jetzt dabei, einen alternativen Fernsehsender auf die Beine zu stellen: „Einen TV-Kanal“, sagt Dario Fo, „der unsere Antwort ist auf all das bisher folgenlose Jammern angesichts unseres immer gleichgeschalteteren privaten und öffentlichen Fernsehens!“ Dank der in Italien immer billiger werdenden Technik und der Möglichkeit, sich gratis auf Satellitenfrequenzen einzuschalten, kann ein neuer Fernsehkanal schon mit ein paar Tausend Euro Realität werden. In nur wenigen Monaten wurde das Projekt „Atlantide TV“ ausgearbeitet, rund 40 Mitarbeiter, darunter prominente Autoren wie Umberto Eco und Antonio Tabucchi, erklärten sich sofort bereit, umsonst mitzumachen.

In Italien existieren bisher zwei Fernsehsysteme: Die drei grössten Privat- sowie die drei Staatssender der RAI werden von der Mitte-Rechts-Regierung und von Silvio Berlusconi kontrolliert. Kritische Journalisten wurden entlassen, kritische Sendungen gestrichen. Gegen diese Medienmacht, die wiederholt vom EU-Parlament beanstandet wurde, entstand eine Vielzahl von Lokalsendern, die bürgernahe Programme machen wollen und in den meisten Fällen von den oppositionellen Linksparteien mitfinanziert werden. Was bisher fehlte, war ein Privatsender, bei dem die von der Regierung und von Berlusconi entlassenen Journalisten und Intellektuellen wieder die Möglichkeit erhalten, unzensiert zu Wort zu kommen – jene also, die der Regierungschef als „Kommunisten“ bezeichnet, weil sie ihn kritisieren.

Atlantide-TV will noch im November über Satellit ausstrahlen. Zur Zeit gibt es Testsendungen. An dem anspruchsvollen Projekt, das nicht über Werbung, sondern ausschliesslich über Spenden finanziert wird, nehmen viele italienische Intellektuelle gratis teil. Darunter Starjournalisten wie Giorgio Bocca von der Tageszeitung „La Repubblica“ und der Enthüllungsjournalist Marco Travaglio, der mit verschiedenen Büchern über die Geschäftspraktiken Berlusconis für Aufsehen sorgte. An der Programmgestaltung sollen auch Schauspieler und Komiker wie Daniele Lutazzi und Lella Costa teilnehmen. Ziel sei es, Hintergrundinformation zu liefern: Reportagen, Diskussionssendungen, Literaturbesprechungen und, so Dario Fo, „die größtmögliche Freiheit der Meinungsäusserung“.

Er selbst will hier gleichfalls auftreten. So soll Fos neue Theater-Farce „L’anomalo bicefalo“ („Der anomale Doppelkopf“), eine satirische Anspielung auf Silvio Berlusconi (und Präsident Putin), auch bei Atlantide TV ausgestrahlt werden. Das Staatsfernsehen hatte das Stück bereits vorab als regierungsfeindlich verworfen, und auf politischen Druck in Berlusconis und Fos Heimatstadt Mailand wurde dort eine Uraufführung am Piccolo Teatro verhindert. Daraufhin sollte das Stück diese Woche in Bologna herauskommen, aber nach einer Erkrankung Franca Rames wird die Premiere wohl erst im Dezember in Rom stattfinden.

Thomas Migge

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