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Serhij Zhadan, ukrainischer Schriftsteller und Musiker, nach seiner Friedenspreis- Rede

© dpa / Sebastian Gollnow

Friedenspreisverleihung an Serhij Zhadan: Ist Europa bereit für die neue Kriegswirklichkeit?

Der ukrainische Schriftsteller hält in der Paulskirche eine herausragende, gleichermaßen artistische wie politische Dankesrede.

Es gibt in Serhij Zhadans dieser Tage auf Deutsch veröffentlichtem Kriegstagebuch „Himmel über Charkiw“ einen Eintrag, in dem der ukrainische Schriftsteller sich an seine Deutschlandbesuche der vergangenen acht Jahre erinnert; jener Zeit also, in der für ihn Krieg herrscht seit der russischen Annektierung der Krim. Zhadan ist diplomatisch, was die Deutschen anbetrifft, ihm gehe es um „keine Beschuldigung.“

Trotzdem betont er, dass er noch weiß, wie ein ehemaliger Bundeswehrgeneral während einer Diskussionsrunde über die Geschehnisse im Osten der Ukraine von einem Anrecht Russlands auf die Krim sprach und dass das Publikum zum Teil „freudig“ auf diese und andere Aussagen des Generals reagierte. Er erinnert sich an eine Trotzkistin auf der Leipziger Buchmesse, die Flugblätter verteilte, auf denen es hieß, in Kiew seien Nazis an der Macht. Und er weiß auch noch, „wie Außenminister Steinmeier mich leicht gelangweilt nach der Lage in der Ukraine befragte“.

Der Bundespräsident ist nicht da, dafür Claudia Roth

In einem grauen Wollsakko und einem braunen Rollkragenpullover (statt seiner sonstigen Punkrock-Kluft) steht Serhij Zhadan an diesem Sonntagvormittag nun in der Frankfurter Paulskirche, um aus den Händen der Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs die Verleihungsurkunde für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegenzunehmen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist nicht gekommen, dafür Claudia Roth als Vertreterin der Bundesregierung, die Staatsministerin für Kultur und Medien.

 Sprechen muss man. Selbst in Zeiten des Krieges. Gerade in Zeiten des Krieges. 

Serhij Zhadan in seiner Friedenspreisrede

Nachdem Schmidt-Friderichs erklärt hat, wie es zu der Entscheidung des Stiftungsrats für Zhadan kam, ungewöhnlich an dieser Stelle, und nach der instruktiven, Zhadans Werk schön in den Blick nehmenden Laudatio von Sasha Marianna Salzmann, beginnt der 1974 im ostukrainischen Starobilsk/Luhansk geborene Schriftsteller seine Rede. Er hält sie auf Deutsch, übersetzt wurde sie von Claudia Dathe.

Zhadan erzählt zunächst von dem Fahrer einer Kampfeinheit der ukrainischen Armee, einem Mann, den man aus „Himmel über Charkiw“ zu kennen meint. Eine Figur, wie sie so zahlreich in Zhadans Büchern vorkommt. Der Fahrer fragt Zhadan, ob er ihm einen Kühlschrank besorgen könne, was der Schriftsteller missversteht: Es geht um einen ganzen Kühlwagen, um die in der Sonne verwesenden Kriegstoten besser abtransportieren zu können.

Zhadan und seine Freunde besorgen den Wagen, in Litauen treiben sie einen auf, und übergeben ihn dem Fahrer. Dann bricht diese Geschichte unvermittelt ab, eine Überleitung gibt es nicht. Zhadan beginnt, sich Gedanken darüber zu machen, wie der Krieg „das Gefühl für Zeit und das Gefühl für Raum“ verändert, wie er die Sprache verformt, wie sich durch ihn „der begriffliche Gehalt und die Nuancen unseres Vokabulars verschieben“.

Antwort auf die Offenen Briefe deutscher Prominenter und Intellektueller

Doch er kommt auf den Kühlwagen zurück, er ist für ihn ein Sinnbild des verschobenen Vokabulars, der veränderten Semantik in Zeiten des Krieges. Zhadan stellt Fragen: „Der Kühlwagen mit den Leichen der Gefallenen – geht es da noch um Frieden oder schon um Krieg?" Oder: „Das Tourniquet, das du für einen Soldaten gekauft hast und das ihm das Leben rettet – ist das noch humanitäre Hilfe oder schon eine direkte Unterstützung der Kämpfenden?“ Und er schließt diese Passage mit einer weiteren Frage: „Müssen wir unser Recht auf Existenz in dieser Welt in Erinnerung rufen, oder ist dieses Recht offensichtlich und unantastbar?“ Er würde sie, das ahnt man, mit dem ersten Teil bejahen.

Es ist eine sehr gute, auch artistische Rede, die Zhadan an diesem Sonntag in Frankfurt hält. „Lass es einen Text sein, aber nicht über den Krieg“ ist sie überschrieben, und zuvorderst dreht die Rede sich auch um Sprache und Erinnerung. Sie mündet in eine Lobpreisung der Sprache. Ohne sie ist alles nichts, „die Stimme gibt der Wahrheit eine Chance“. Nur geht es dabei in den Worten des Schriftstellers natürlich nicht ohne den Krieg, weil dieser alles durchdringe.

 Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.

Serhij Zhadan

Der Krieg breche die Zeit, so Zhadan, er töte das Gefühl für Dauer, er schnüre die Luft zum Atmen ab, er sorge dafür „dass die Wirklichkeit auf dir lastet und versucht, dich auf die andere Seite des Lebens, auf die andere Seite des Sichtbaren abzudrängen“. Aber, fügt Zhadan wieder an: „Sprechen muss man. Selbst in Zeiten des Krieges. Gerade in Zeiten des Krieges.“

In ihrem Kern ist Zhadans Rede eine politische, die sich nicht zuletzt auf das Land bezieht, in dem er den Friedenspreis bekommt. Man kann sie als Widerrede zu dem Pazifismus deutscher Herkunft verstehen (für ihn „falscher Pazifismus“); als Antwort auf die Offenen Briefe deutscher Fernsehprominenter und Intellektueller; und als Kritik an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung und anderer europäischer Staaten, schwere Waffen in seine Heimat zu liefern.

Von Gerechtigkeit spricht Zhadan, ohne die es keinen Frieden gebe, von der Weigerung der Ukrainer und Ukrainerinnen, sich zu ergeben. Eine Weigerung, die von manchen in Europa, „zugegebenermaßen nur ein sehr kleiner Teil“, „als Ausdruck von Militarismus und Radikalismus“ verstanden würden. Auch als Nationalismus, könnte man ergänzen. Und er spricht von einem Überschreiten der ethischen Grenzen, weil so einige Menschen in Deutschland und Europa lieber in ihren „Komfortzonen“ bleiben wollten: „Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“

Es ginge ihm bevorzugt um Sprache, unterstreicht Zhadan ein weiteres Mal; darum, wie der Krieg sie verändert habe, wie sich ihre Bedeutungszusammenhänge nun anders darstellen. Adornos Diktum von der Unmöglichkeit, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben, lässt er durchscheinen, als er sagt, dass „Dichtung nach Butscha und Isjum weiterhin möglich ist, ja, sie ist sogar notwendig“. Nur seien nun Massengräber und zerbombte Wohnviertel der Resonanzraum dieser Dichtung.

Was Serhij Zhadan hier in der Paulskirche sagt, ist sicherlich auch ein Sprechen und Debattieren mit sich selbst als Schriftsteller, eine ausführlichere, durchgearbeitete Ergänzung zu den von Facebook und Twitter stammenden Einträgen von „Himmel über Charkiw“. Man spürt in diesen Einträgen subtil die Sehnsucht Zhadans danach, wieder Schriftsteller zu sein, wenn er so häufig auf eben jenen titelgebenden Himmel zurückkommt.

Man kann das Buch auch als Nachfolger seines wunderbaren, nur als Liebeserklärung zu verstehenden Charkiw-Romans „Mesopotamien“ lesen, weil er abermals unentwegt das hohe Lied auf die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt singt, nur jetzt eben definitiv unter den Vorzeichen und dem Eindruck des Krieges.

Trotzdem irritiert sicher manchen wohlmeinenden Pazifisten, manche wohlmeinende Pazifistin und einige andere mehr, sicher aber auch ihn selbst, wie martialisch er sich in den sozialen Medien gibt, ja, wie der Hass in ihm brodelt. Die Russen bezeichnet er als „Tiere“, als „Unrat“, als „Barbaren“, als „degeneriert“; „Brennt in der Hölle, ihr Schweine“, entfährt es ihm nach dem Tod eines Freundes. Und am Schluss von fast jedem Post schreibt er, dass „wir unserem Sieg wieder einen Tag näher sind“, dass „über der Stadt unsere Flaggen wehen“, oder „Ruhm der Ukraine“ oder „Sieg für die Ukraine“. 

Es hat seinen Grund, dass Karin Schmidt-Friderichs erläutert, wie der Friedenspreis-Stiftungsrat auf Zhadan kam, wie dieser sich die Frage stellte, einen Preis für den Frieden vergeben zu wollen, wo doch Krieg herrscht, und dass sie „um diesen Krieg nicht herumkommen“. Zhadan greift das in seiner Rede auf, „traurig und bezeichnend“ sei es, „dass wir über den Friedenspreis sprechen, während in Europa wieder Krieg herrscht“.

Doch er sagt auch, dass dieser Krieg nun einmal seit 2014 dauere und man in dieser Zeit Jahr für Jahr den Friedenspreis verliehen habe. Und er fragt, ob Europa bereit sei, „sich dieser neuen Wirklichkeit zu stellen“, der Kriegswirklichkeit mit ihrem eindeutigen Aggressor, den völlig zerstörten Städten, den Massengräbern, den tausenden unschuldigen Toten.

Die Verweise auf manche Unentschlossenheit in Europa, die Frage nach der europäischen Bereitschaft, sich auf die Kriegsrealität einzulassen (er scheint sie nicht für sehr hoch zu halten), all das erinnert an die Rede, die Navid Kermani 2015 im Angesicht des Krieges in Syrien und des IS-Terrors gehalten hatte. Damals stellte Kermani die Frage, ob ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen dürfe. Beantworten tat er sie nicht.

Serhij Zhadans Worte sind ein Plädoyer dafür, die Ukraine weiterhin und das noch viel intensiver und tatkräftiger denn je zu unterstützen. Als er endet, erhebt sich das Auditorium in der Paulskirche, und es gibt anhaltenden, zustimmenden Beifall wie sehr lange nicht an dieser Stelle.

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