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Kultur: Friedrich Torbergs "Der Schüler Gerber"

"Auf drei Dingen beruht die Welt: auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und auf Liebe": Dieses fromme Talmud-Wort hat der Österreicher Friedrich Torberg (1908-1979) als Motto für sein berühmtes (autobiographisch geprägtes) Debüt gewählt, doch nur, um es als naiven Unfug zu entlarven. Am Schluß gibt es eine furiose Abrechnung mit dieser Welt und dem "wirklichen Leben".

"Auf drei Dingen beruht die Welt: auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und auf Liebe": Dieses fromme Talmud-Wort hat der Österreicher Friedrich Torberg (1908-1979) als Motto für sein berühmtes (autobiographisch geprägtes) Debüt gewählt, doch nur, um es als naiven Unfug zu entlarven. Am Schluß gibt es eine furiose Abrechnung mit dieser Welt und dem "wirklichen Leben". Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe: alles leere Worte!

Innerhalb eines Jahres, des Matura-Jahres, wird der Schüler Gerber von seinem Klassenlehrer Artur "Gott" Kupfer so verängstigt und klein gemacht, dass er sich kurz vor der Notenbekanntgabe aus dem Fenster stürzt. Spätestens bei dem Streitgespräch, das Vater und Sohn Gerber am Anfang führen, wird klar: Was hier abgeht, ist Krieg - zwischen einem perversen Größenwahnsinnigen, der sich durch den Spitznamen Gott nur bestätigt fühlt, und einem trotzigen jungen Mann, der zwar intelligent, aber zu sensibel und sentimental ist, um sich Kupfers Gemeinheit widersetzen zu können. Zu allem Unglück ist Gerber auch noch in die launische Lisa rettungslos verliebt.

In diesem Roman spielen Frauen sonst keine Rolle, nur Lisa, weil etwas sie mit Kupfer verbindet: Weder er noch sie sind fähig zu lieben. Eine Verwandtschaft zwischen den beiden käme Gerber nie in den Sinn, aber so ist es nun mal: Er ist mit zwei seelischen Krüppeln schicksalhaft verbunden, das läßt ihn an den Menschen zweifeln und im Irrsinn enden.

Der Publizist Friedrich Torberg starb 71-jährig vor zwanzig Jahren. Als Erzähler hat er vielleicht noch in "Golems Wiederkehr" (1968) die Höhe seines Debüts von 1930 erreicht, das Max Brod damals bei Paul Zsolnay untergebracht hatte. Im selben Verlag erscheint die schöne Neuauflage dieses erschütternden, mitreißenden Romans, der manches der hochgelobten Debüts von heute blaß aussehen läßt. Bloß die "zwingende Aktualität", die das Verlagsprogramm beschwört, ist etwas zweifelhaft. Denn Krieg herrscht zwar auch in heutigen Schulen. Nur haben sich die Kräfte verschoben. Was heute aktuell wäre, wäre eher ein "Lehrer Gerber", der nach erschöpfendem Kampf mit einem fiesen Schüler Kupfer den Freitod wählt.Friedrich Torberg: Der Schüler Gerber. Roman. Zsolnay Verlag, Wien 1999. 300 Seiten, 34,80 DM.

Peter Urban-Halle

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