zum Hauptinhalt
Wandzeichen. „Vorsicht, zerbrechlich!“ warnt der Künstler Rirkrit Tiravanija auf der Kojenwand der Galerie Pilar Corrias. Foto: Reuters

© REUTERS

Frieze Art Week: Darling, komm kaufen!

Zuwachs ohne Ende: Die Londoner Messe Frieze bietet nun auch Antikes und Kunst nach 1945 an.

Unter der Vielzahl von Ausstellungseröffnungen, Künstlergesprächen und Dinnern, mit denen sich die globale Kunstszene in dieser Londoner Frieze-Woche neben Messe- und Auktions-Shopping belustigt, ist auch Hans Ulrich Obrists „Frieze Ideenmarathon“. Der Schweizer Direktor der Serpentine Gallery lässt über Erinnerung und Gedächtnis diskutieren. Wird er testen, was den Messebesuchern nach einer Woche Vollprogramm in Erinnerung geblieben ist? Oder blinkt es auf unseren Mattscheiben: „Memory Full?“ Haben wir die Erinnerungskraft unserer digitalen Medien mit einer humanen Generalamnesie erkauft?, fragt Obrist. Oder bleibt nichts haften, weil wir nichts mehr vergessen können und alles immer gegenwärtig ist?

Nie war in einer Frieze-Woche der Ansturm auf die Sinne so groß. Neueste Attraktion ist die „Frieze Masters“, mit der sich die Messe der älteren und ältesten Kunst bemächtigt. In einer Generalattacke des spartenübergreifenden Eklektizismus wird Modernes und Altes zusammengeführt. Eingefleischte Freunde historischer Kunst sollen über „Frieze Masters“ im Norden des Regent’s Parks der Contemporary Art im Süden zugeführt werden. Und umgekehrt: Sammler der Gegenwart sollen lernen, „dass alte Kunst so frisch und unerwartet sein kann wie Zeitgenössisches“, erklärt Messechefin Victoria Sadill. Ob es diese legendären „Cross-Sammler“ gibt, die sich beispielsweise neben Paul McCarthys tropfenden, riesigen Schneewittchen-Kopf in fleischigem Pink (für 1,3 Mio. Dollar nach 30 Minuten bei Hauser & Wirth verkauft) eine Pariser Holzmadonna aus dem 14. Jahrhundert stellen würden (bei Brimo de Laroussilhe für 2 Mio. Euro) ist fraglich. „Wir werden es in sechs Monaten wissen“, sagt Fabrizio Moretti, der gleich am Messeeingang mit Goldgrundmadonnen handelt und das Messe-Nachgeschäft meint, das für die Händler oft das interessanteste ist. Er selbst übte sich schon im „Cross-buying“ und ersteigerte bei Christie’s am Donnerstag ein weißes Fontana-Concetto für 546 000 Euro – „Das war doch sehr günstig, nicht“, sagte er anschließend.

„Frieze Masters“ eine Kreuzung der Maastrichter Tefaf und der Art Basel im Miniformat. Große Kunst des 20. Jahrhunderts wird von chinesischem Porzellan, Altmeistergemälden und mittelalterlichen Skulpturen abgerundet. Man findet bei Sam Fogg seltene Kostbarkeiten, groteske Wasserspeier des 13. Jahrhunderts, indische Gouachen bei Francesca Galloway, einen mit 1,6 Mio. Pfund ausgezeichneten Altmännerkopf von Jan Lievens bei Colnaghi, Picassos „Buste d’Homme“ bei Acquavella, die für 9,5 Mio. Dollar verkauft wurde – und als Preisführer der Londoner Messen gleich zwei monumentale Mobiles von Alexander Calder für jeweils 20 Mio. Dollar – eines bei der Pace Gallery, eines bei Helly Nahmad in einer entspannten, von Jazzmusik begleiteten Präsentation. Händler und Besucher waren sich einig, dass die Frieze Masters mit ihrer Ruhe und ihren weiten Fluren die schönste neue Messe seit Jahren ist und den Londoner Herbst aufregender macht als je. Wer hoffte, die neue Messe würde der nun zehn Jahre alten Frieze Contemporary etwas von ihrem Überdruck nehmen, sah sich enttäuscht: Es ist bunter, gedrängter, hektischer als je. Paparazzi halten nach Promis Ausschau, Kunsthändler nach den Sammlern, Sammler nach den neuen Künstlerstars. Und als sei das nicht genug Trubel, wird nun noch gekocht. Wo die „Yangjiang Group“ aus dem gleichnamigen chinesischen Ort ihre Kunstküche aufgebaut hat, ziehen undefinierbare Gerüche durch die Gänge. Edelkoch Sam Clark wurde eingeladen, Würmer mit japanischem Knöterich zu servieren. Ein paar Schritte weiter weg wird hinter einem Band „Do not cross Police“ der Messekrimi gedreht – ein „Frieze Projekt“ des türkischen Künstlers Asli Çavusoglu.

Kunst wird auch gekauft. Künstlerischen Anliegen auf die Spur zu kommen ist wie immer vergebens. Dass auf einer Arbeit von Rirkit Tiravanija „On ne peut pas simuler la liberté“ steht (Man kann die Freiheit nicht vortäuschen) hat nichts zu bedeuten. Genauso angesagt sind die strahlenden Tintenmonochrome von Jean-Luc Moulènes mit ihrem Lüsterglanz (40 000 Euro) oder die hyperrealistischen, neonfarbigen Interieurs des 35-jährigen L.A.-Künstlers Jonas Wood, die am Stand der Galerie David Kordansky nach einer Messestunde alle verkauft waren (bis 50 000 Dollar). Topstücke von McCarthy bei Hauser & Wirth, Per Kirkeby bei der Galerie Werner, der neue Hirst bei White Cube (500 000 Pfund), ein frühlingshafter Baselitz (150 000 Dollar) bei Thaddaeus Ropac, von Tracey Emin gestickte Akte (120 000 Pfund) – Bewährtes und Bekanntes war schnell weg.

Das Londoner Käuferpublikum ist „aktiver denn je, aber nicht nur mit oberflächlichem Shopping“, berichtet Iwan Wirth und nennt als Grund die immer weiter wachsende Dichte von Museen, Galerien, Sammlungen und Kunststiftungen in der Stadt – von Saatchi bis zur neu eröffneten David Roberts Art Foundation. Vor allem aber hat London das Käuferpublikum. Das zeigt die Flut neuer Megagalerien, die mit Neueröffnungen in die Stadt strömen – fast alle ins Mayfair Viertel, dem Powerhouse des Kunstmarkts. Viele kommen aus New York und suchen das Geschäft mit Russen, Arabern und Asiaten, die hier Zweitwohnsitze haben oder auf Reisen durchkommen. Die Pace Galerie eröffnete eine Galerie im alten Burlington Museum, David Zwirner und Werner verwandelten Townhäuser des 18. Jahrhundert in moderne Galerieboxen und zeigen Neues von Luc Tymans und Peter Doig. Die arabische Großgalerie Ayyam wird in der Bond Street arabische Kunst beisteuern. In den Londoner Auktionen wird fünf Mal so viel Kunst aus den „emerging“ Ländern versteigert wie in New York – es ist eine permanente Verkaufsschau mit Kunst aller Länder und aller Epochen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false