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Campino, Sänger der Düsseldorfer Band Die Toten Hosen.

© Paul Ripke

Frontmann der Toten Hosen: "Merkel als Volksverräterin zu beschimpfen, ist inakzeptabel"

Am Freitag erscheint das neue Album "Laune der Natur" der Toten Hosen. Im Interview spricht Sänger Campino über Pegida, Punk, den Brexit und das Verhältnis zur Band Die Ärzte.

Campino, das Tote-Hosen-Album „Laune der Natur“ ist schneller und aggressiver als der Vorgänger „Ballast der Republik“ von 2012. Hatten Sie sich diesen Sound bewusst vorgenommen?

Es hat sich so ergeben. Als wir vor zwei Jahren begonnen haben mit der Arbeit an dem Album, wollten wir uns keine stilistischen oder textlichen Vorgaben setzen. Alle Ideen aus sämtlichen Richtungen wurden reingefeuert. Über die Monate haben sich die Sachen dann von selber sortiert, manche Dinge fallen durch den Rost, andere bleiben. Unser Produzent hat 475 Versionen von diesen Aufnahmen gezählt. Man verheizt eine Menge Holz, bis man am Ende mit 15 Liedern dasteht.

Überraschend sind die zwei Reggae-lastigen Stücke. Wie kam es denn dazu?

Wir lieben Reggae, aber der Groove ist schwer für uns umzusetzen. The Clash waren eine der wenigen weißen Bands, die diese Stilistik so aufgenommen haben, dass man ihnen das abgenommen hat und es nicht verkrampft rüberkam. Police konnten das auch. Wir haben einige vorsichtige Versuche in diese Richtung unternommen und fanden es letztlich doch immer zu holperig. Mit diesen beiden neuen Nummern waren wir aber zufrieden. Sie klingen nach uns, atmen aber ein wenig diese Luft.

Eines der Reggae-Stücke ist „Wannsee“, dessen Refrain man als Anspielung an „Westerland“ von den Ärzten lesen kann. Ein kleiner Gruß an die Berliner Kollegen?

Das ist mir erst gar nicht so aufgefallen. Ich war eher besorgt, dass das Wortspiel „Wannsee, wann seh’ ich dich endlich wieder“ etwas zu platt ist. Doch dann meinten einige Leute aus unserem Umfeld, dass es auch an Die Ärzte erinnert. Ich finde das okay, es hat die Freude an dem Lied noch erhöht.

Früher standen Sie ja in einer harten Konkurrenz mit den Ärzten. Wie sehen Sie die Berliner Band heute?

Sehr kollegial und respektvoll. Über die Jahre hat man schon gemerkt, was man aneinander hat, kann über sich selbst und die anderen schmunzeln. Im Spaß tritt man sich vielleicht auch mal vors Schienbein, aber im Grunde ist es ein gutes Verhältnis. Ich glaube, dass in Notsituationen keine Seite zögern würde, die andere anzurufen und zu fragen: Könnt ihr uns mal aushelfen? Eine Seelenverwandtschaft gibt es allerdings nicht, obwohl wir aus derselben Suppe kommen.  

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Derzeit wird – vor allem in England – das 40. Jubiläum des Punkrock gefeiert. Es gibt Ausstellungen, Bücher, Diskussionen. Wie geht es Ihnen mit dieser Art von Historisierung und auch Musealisierung einer einst so rebellischen Kunstform?

Ich finde es legitim, sich hin und wieder einen Blick zurück zu erlauben. Dabei ist nichts falsch, solange man darin nicht stecken bleibt. In London kann man tagsüber ins Museum gehen und sich am Abend in einem Club eine aufregende neue Band anschauen. Wir haben auch in Deutschland Bands wie Feine Sahne Fischfilet, die sich auf die damalige Zeit beziehen, aber etwas Eigenes draus machen. Wenn man zurzeit Revolutionäres und Aufrüttelndes sucht, muss man aber eher auf den Hip-Hop schauen. Wir haben aktuell so viele gute deutsche Texter wie noch nie. Das Genre ist nicht wichtig, Hauptsache junge Musiker finden ihren Weg, sich auszudrücken.

Auf dem Zusatzalbum „Learning English Lesson 2“ hat ihre Band Punk-Klassiker neu eingespielt und dazu Mitglieder der gecoverten Gruppen eingeladen. Wie war es, mit Jello Biafra oder Bob Geldof zu singen?

Sehr unterschiedlich. Jello Biafra ist ein extrem eigenwilliger Typ. Er hat uns in Deutschland besucht und seine erste Ansage war: Ich singe nur nachts. Als er um 23 Uhr ankam, dauerte es erst mal eine Weile, bis das Eis brach, doch dann hat er sich irre reingehängt, um die bestmögliche Version von „California Über Alles“ mit uns einzuspielen. Bob Geldof kam am zweiten Tag nach dem Brexit-Referendum mit einer Zeitung unter dem Arm in das Studio in London, wo der Großteil der Aufnahmen stattfand. Er war total niedergeschlagen und schimpfte erst mal eine halbe Stunde lang über den Ausgang des Referendums. Aber als er vor dem Mikrofon stand, war er ganz und gar Musiker – offensichtlich auch froh, mal nicht als Polit-Nase wahrgenommen zu werden.

Apropos Brexit. Wie sehen Sie als Halb-Engländer den?

Mich hat das total traurig gemacht. Ich habe ja diese Ambivalenz, mich keinem der beiden Länder wirklich zugehörig zu fühlen. Ein großer Trost war immer die Erklärung: Ich bin Europäer und irgendwo sind wir das alle. Dass die Engländer dies nun offenbar anders sehen, ist schon heftig. Mit Leichtfertigkeit wurde hier etwas in Brand gesetzt, das noch gar nicht überschaubar ist. Was passiert mit Schottland? Wie geht es in Nordirland weiter, wo die Lage ohnehin fragil ist? Einzige Erleichterung für mich: Wenigstens Liverpool und Manchester haben für den Verbleib gestimmt. London sowieso.

Der neue Song „Pop & Politik“ handelt von der Vermischung dieser Sphären. Allerdings gibt es auf „Laune der Natur“ kaum explizit politische Bezüge. Wie kam’s?

Es ist wahnsinnig schwierig, ein tagespolitisches Lied zu schreiben, denn die Ereignisse überschlagen sich. Das hätte keine Halbwertszeit. Auf unserem letzten Album war der Song „Europa“, in dem es um die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ging. Der hat die Leute vor fünf Jahren noch richtig getroffen. Heute aber haben sich die Meinungen vieler Menschen in diesem Punkt verhärtet. Natürlich findet es niemand schön, wenn Flüchtende sterben, aber es sollten bitte auch nicht so viele gerettet werden, dass der Weg übers Meer zu aussichtsreich erscheint. Wir nehmen alle stillschweigend in Kauf, dass entsetzliche Ungerechtigkeiten geschehen. Und ein Lied über Trump oder Erdoğan? Das wäre doch alles schrecklich eindeutig im Augenblick.

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Einen speziellen Pop-und-Politik-Moment hatten Sie nach der letzten Bundestagswahl, als die CDU-Spitze ihren Sieg mit dem Hosen-Hit „Tage wie diese“ feierte. Angela Merkel hat sich dafür telefonisch bei Ihnen entschuldigt. Nach dem Sommer 2015 wurde sie auch in linken Kreisen plötzlich recht positiv gesehen. Ging es Ihnen ähnlich?

Als die Toten Hosen anfingen, waren die Regierung und das Establishment unsere klaren Gegner und Deutschland mühte sich immer noch mit den Nachkriegsfolgen ab. Heute schaut die ganze Welt auf die Bundesrepublik, die eine der letzten verbindenden Kräfte in Europa zu sein scheint. Für viele Menschen spielt Angela Merkel dabei eine entscheidende Rolle. Man muss anerkennen, dass sie zu ihren Grundsätzen steht, zum Beispiel beim Thema Flüchtlingsobergrenze. In diesem Punkt habe ich Respekt vor ihrem Durchhaltevermögen. Dabei ist sie unglaublichen Anfeindungen ausgesetzt, die niemand verdient hat. Sie als Volksverräterin zu beschimpfen, ist inakzeptabel.

In „Unter den Wolken“ singen Sie von einem „kleinen Hoffnungsschimmer“. Wo kommt der für Sie persönlich derzeit her?

Jeden Montag laufen diese Pegidatrottel zu Tausenden durch Dresden. Und ebenfalls jeden Montag gibt es da diesen kleinen Haufen Verwegener, die dagegen demonstrieren. Über die redet nie jemand, aber die verteidigen dort die Demokratie für uns alle. Das ist für mich so ein Hoffnungsschimmer, genau wie die Jugendsozialarbeiter, die sich in kleinen Orten in Mecklenburg-Vorpommern nicht von den Rechtsradikalen einschüchtern lassen. Denen müsste man mal allen einzeln die Hand schütteln.

Ein zentrales Thema des Albums ist der Tod, auch Ihr eigener kommt in einem Song vor. Haben Sie sich schon mal überlegt, welche Musik bei Ihrer Beerdigung gespielt werden soll?

Da wird man immer so melancholisch, wenn man über so etwas nachdenkt. Aber „Always Look On The Bright Side Of Life“ und „Ride On“ von AC/DC könnte ich mir vorstellen. Ich bin ja auch Fan von Grabsprüchen. Sehr gut gefällt mir: „Ich hab euch ja gesagt, dass ich krank bin.“ Stand heute würde ich mir aber für mich wünschen: „Er war stets bemüht.“

"Laune der Natur" erscheint am 5. Mai bei JKP.

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