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Kultur: Frühlingsmärchen - Geburtstage sind Zufallsprodukte

Das Leben lässt sich in Bildern nicht einfangen, es sei denn, man weiß, dass es einem entwischt. Je älter der Filmemacher Eric Rohmer wird, desto weniger verlässt er sich auf die Fangapparatur der Kinomaschinen.

Das Leben lässt sich in Bildern nicht einfangen, es sei denn, man weiß, dass es einem entwischt. Je älter der Filmemacher Eric Rohmer wird, desto weniger verlässt er sich auf die Fangapparatur der Kinomaschinen. Längst bevorzugt er leichtes Gepäck. Wenn er drehe, so Rohmer, dann sei das wie Ferien.

Ein Rohmer-Film ist immer so etwas wie ein Spaziergang am Meer, durch die Straßen von Paris, oder - wie zuletzt in "Herbstgeschichte" - über die Weinberge am Rhônetal. Man flaniert ohne Ziel, liest Fundstücke auf und lässt sich den Tagesablauf, wenn überhaupt, von der Sonne oder den Gezeiten diktieren. Rohmers Liebe zu filmischen Zyklen, in den "Moralischen Erzählungen", den "Komödien und Sprichwörtern" oder zuletzt der "Jahreszeiten"-Serie, sorgt dabei nur für die äußere Ordnung eines radikal offenen Systems. Die zyklische Anlage liefert den Rahmen für die Freiheit des Blicks. So wirkt jeder neue Film des Altmeisters der Nouvelle Vague noch ein bisschen jünger, wacher, freihändiger.

Und aufregender: Erotik ist bei Rohmer nie etwas Gemachtes, im Gegenteil. Sie entsteht im Seitenblick auf die jungen Mädchen in "Pauline am Strand" oder im "Frühlingsmärchen", auf die Frauen um Vierzig in "Herbstgeschichte". Sie wird hörbar im Plappern der Rohmerschen Heldinnen als Stückwerk einer Sprache der Liebe. Vor allem ist sie ohne den Zufall nicht denkbar, den Zufall der Begegnung und der Befangenheit danach. Es ist jene Mischung aus Neugier und Zögern, der die unscheinbaren Wunder in Rohmers Bildwelten entspringen. Nicht jeder mag diese Wunder. Vermutlich deshalb nicht, weil sie dem Laientheater der menschlichen Komödie zum Verwechseln ähnlich sehen.

Zum Beispiel dem Frühlingsmärchen von Eric Rohmers Geburtstag. Sämtlichen Agenturmeldungen, Gedenktagebüchern und Personen-Archiven zufolge wurde Rohmer heute vor 80 Jahren, zum Frühlingsbeginn 1920 in Nancy geboren, wahlweise im Elsaß oder, hübsch vage, im "Departement Meurthe-et-Moselle". Stimmt nicht, lässt die französische Filmzeitschrift "Cahiers du Cinéma" verlauten, der Rohmer in den Sechziger Jahren als Chefredakteur vorstand. Sie würdigt den Jubilar traditionell im April. Seine Produktionsfirma feiert Anfang März; amerikanische Filmlexika verzeichnen den 4. April; nicht wenige Zeitungen gratulieren seit Jahrzehnten gar am 1. Dezember. In manchen Publikationen ist er erst 1923 geboren.

Rohmer, eine Diva, die ihr wahres Alter verschweigt? Von wegen: Im Kino, sagt er gerne, wird nicht genug gelogen. Er heißt ja auch gar nicht Rohmer, sondern Jean-Marie Maurice Schérer. Und veranstaltet zum Geburtstag ein Verwirrspiel, heiter und leicht, fast wie im Kino. Schön, dass das Spiel alle Jahre wieder gemeinsam mit dem Frühling beginnt.

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