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Der Sänger der britischen Post-Punk-Band The Fall, Mark E. Smith, hier 1994 in Los Angeles

© Jonathan Alcorn/dpa

Mark E. Smith gestorben: Für immer Punk, für immer unpeinlich

Meister der beharrlichen Verweigerung: Mark E. Smith, der Mastermind der britischen Postpunk-Band The Fall, ist tot. Ein Nachruf

Als Mark E. Smith im November 2016 wieder einmal Berlin besuchte und im rappelvollen SO 36 einen Auftritt mit seiner Band The Fall hatte, war alles wie immer: Smith taumelte schlecht gelaunt, aber engagiert über die Bühne, nölte ins Mikro, sprach seine Lyrics mehr als dass er sie sang, machte pöbelnd seine Scherzchen mit den Mitmusikern und zeigte sich dem Publikum gegenüber weitgehend ignorant.

Das Ganze vermittelte das Gefühl einer Zeitreise, gerade wenn man weiter hinten stand und das ewig zerknitterte, ewig alte, selbst in jungen Jahren nicht junge Gesicht von Smith unter seinem Seitenscheitel nur von Weitem sah. Man fragte sich während dieses Auftritts: Wie kann dieser Mann sich und seine Musik so zeitlos, so gleichermaßen kaputt-bohrend und frisch halten? Wie kann jemand für immer Punk sein - und zwar ohne wie ein Klischeepunk auszusehen, ohne die Dreiakkorde-Klischeemusik zu spielen - und die Verweigerung mit jeder Faser seines Körpers, jedem Ton aus seinem Mund so leben, ohne peinlich zu werden?

Sein Tod ist ein riesiger Verlust, weil er immer gezeigt hat, dass es auch anders geht, dass man nicht als toter Fisch im Mainstream schwimmen muss, wie es viele andere tun. Nicht-Anpassung geht!

schreibt NutzerIn ChrisV

Mark E. Smith betrat zu der hohen Zeit des Punk 1977 die Bühnen vor allem der kleinen Clubs dieser Welt. Er gründete in einem Vorort der Joy-Divison-Stadt Manchester, damals eine der heruntergekommensten, düstersten Industriestädte des britischen Nordens, seine Band The Fall, in der er wegen seiner Stinkstiefeligkeit mindestens sechzig Musiker verschliss. Tatsächlich sollte Smith diese Bühnen nie wieder verlassen. Nie verschwendete er einen Gedanken daran, The Fall aufzulösen, sondern er machte weiter, weiter und weiter.

Eine Zeit lang wunderte man sich darüber, dass es schon wieder ein neues The-Fall-Album gab, etwa in den späten neunziger, den für ihn etwas dürftigen nuller Jahren, da war Smith sehr in den Niederungen des Underground und vom Pop-Radar verschwunden. In den letzten Jahren wiederum wunderte man sich, wenn Smith mal aussetzte, so sehr war ein neues The-Fall-Album zur Gewöhnung geworden. 2017 erschien mit „New Facts Emerge“ das letzte, angeblich 32. Studioalbum der Band, unter anderem mit dem Song „Victoria Train Station Massacre“, der, wegen der Veröffentlichung eine Woche nach dem Terroranschlag auf dem Ariana- Grande-Konzert in Manchester, unschöne Parallelen dazu aufwies.

Tocotronic träumten vom Pizzaessen mit Mark E. Smith

Doch in den achtziger und frühen neunziger Jahren waren The Fall nicht nur für ihren berühmtesten Fan und Förderer, den legendären Radio-DJ John Peel, „die beste Band aller Zeiten“. Damals veröffentlichten The Fall im Jahrestakt Alben wie „Perverted By Language“, „The Wonderful and Frightening World of the Fall“, „This Nation’s Saving Grace“ und „Bend Sinister“; Alben mit viel Postpunkelementen und trockener Stumpfness, aber auch einer schmeichelnden Zugewandtheit.

Die Verweigerung, die Mark E. Smith zelebrierte, war kultiviert und elaboriert, die hatte etwas gleichermaßen Malocher- wie Bohème-haftes. Mit Songs von The Fall ließen sich Mittelklasse-Revolten, ließ sich der Teenage Riot im Reihenhaus gut entfachen. Zu einem schleppenden Acht-Minüter wie „Tempo House“ konnten Teenagerfrustrationen in holzgetäfelten Partykellern gut ausgelebt werden, zu einem treibenden, eher New-Wave-Lastigen Stück wie „L. A.“ sogar ganz gut mit den Armen rudernd getanzt werden. Nicht umsonst nannten Tocotronic zu Beginn ihrer eigenen Karriere einen ihrer Songs bewundernd „Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith“.

Es war die Zeit, in der das Lifestyle-Magazin „Tempo“ in Deutschland Fall-Touren präsentierte, als die Smith-Ehefrau Brix am Keyboard verstärkt Pop-Elemente in den Fall-Sound einspeiste und die Band gar für das Tanztheater interessant wurde. Das Album „I Am Kurious Orange“ entstand als Soundtrack zu einem Stück des Tänzers Michael Clark.

Die poppige Zugewandtheit behielten The Fall in den frühen neunziger Jahren noch bei. Die Alben, die sie zu dieser Zeit veröffentlichten, waren nicht zuletzt von der von Manchester ausgehenden sogenannten Rave-O-Lution beeinflusst, und doch blieb Smith sich als knödelnd-nölender Frontmann treu, sein Gesang, den man kaum als solchen bezeichnen mochte, das Markenzeichen der Band.

Während sich die Musik des Fall-Spätwerks mehr und mehr zu einem schön scheppernden Irgendwas-Rock zurückentwickelte, entdeckten ihn andere Musiker wie Mouse On Mars oder die Gorillaz, die mit ihm Alben oder Stücke aufnahmen. Mit dem Album „Ersatz GB“ war Smith sogar dem „New Yorker“ eine große Geschichte wert. „It’s growing up for you, it’s growing up for me“ sang er auf einem der Stücke dieses Albums, obwohl das mit dem Wachsen, Werden, Weiterentwickeln nicht so seine Sache war. Als Meister der beharrlichsten Verweigerung wird er nun in die Popgeschichte eingehen. Am Mittwoch ist Mark E. Smith im Alter von 60 Jahren gestorben.

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