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Was zählt, ist auf'm Platz: Neço Çelik und Imran Ayata im Willy-Kressmann-Stadion.

© Kitty Kleist-Heinrich

Fußballgeschichte im Ballhaus Naunynstraße: Türkiyemspor oder die Liga des Lebens

Der einst legendäre Berliner Fußballklub Türkiyemspor kommt auf die Bühne des Ballhauses Naunynstraße. Wir haben die Theatermacher Neço Çelik und Imran Ayata getroffen. 90 Minuten am Spielfeldrand.

Es ist ein strahlend schöner Sonntagnachmittag im April. Auf den Rängen des Willy-Kressmann-Stadions in Kreuzberg verlieren sich nur wenige Zuschauer. Die meisten haben auf den Eintritt Rentnerermäßigung bekommen. Neço Çelik lässt den Blick über die Minuskulisse und das marode Rund schweifen. „Die schlechte Nachricht“, sagt er, „das Spiel dauert 90 Minuten“. Er lacht, aber es klingt nicht fröhlich. Kurz nach 14 Uhr, Anpfiff. Türkiyemspor gegen die Reinickendorfer Füchse. Kellerduell in der Berlin-Liga. Es geht gegen den Abstieg.

Çelik, der Theatermacher, betreibt hier Feldforschung. Er inszeniert gerade am Ballhaus Naunynstraße das Stück mit dem vielversprechenden Titel „Liga der Verdammten“ von Imran Ayata. Es ist inspiriert von der Geschichte dieses Kreuzberger Clubs – Türkiyemspor – der mal eine Legende war und heute ein verblassender Mythos ist. Tatsächlich aber geht es darin um viel mehr. Um Erfolg und Versagen, Hybris und Fall. Wie im Fußball eben.

Ayata, der Schriftsteller und Fußballkenner, blickt skeptisch auf das anhebende Mittelfeldgeplänkel. „Die stehen nur rum, keiner kämpft“, ruft Çelik, „da könnte ich auch mitspielen“. „Neço“, entgegnet Ayata und schüttelt den Kopf, „du würdest hier keine fünf Minuten mithalten“. „Was redest du, ich hab Kondition“, protestiert der Regisseur. Çelik hat von klein auf Fußball gespielt, bei anderer Fügung wäre er vielleicht Profi statt Künstler geworden. Er stand im rechten Mittelfeld beim BFC Südring auf dem Platz, für Türkiyemspor nie, obwohl er gebürtiger Kreuzberger ist. Dafür kickt sein Sohn seit der F-Jugend im Verein. Und für kurze Zeit saß Çelik sogar im Aufsichtsrat. Das war im vergangenen Jahr, als der Traditionsclub eine Million Miese angehäuft hatte, Insolvenz anmelden musste und der Sturz ins Bodenlose drohte.

„Der 13er ist eine Vollpfeife, der gehört ausgewechselt“, winkt Ayata ab. Er selbst hat zwei Jahre C-Jugend-Erfahrung in Ulm zu bieten. Die Bilanz: „Gute Übersicht, aber lauffaul“. Ayata ist Union-Berlin-Mitglied und seit dem sechsten Lebensjahr Fan von Galatasaray Istanbul. „Aufrücken, der Außenverteidiger!“, ruft er in einen Angriff der Reinickendorfer. Kurz tauchen vor dem geistigen Auge die bengalischen Feuer der Süper Lig auf. Echter Fußball, große Emotionen. Der Konter von Türkiyemspor versandet in Höhe der Mittellinie. „Ich möchte gar nicht hinschauen“, stöhnt Çelik. „Ich nehm’s zurück – wir könnten doch mitspielen“, sagt Ayata.

Für die migrantische Community war Türkiyemspor unschätzbar wichtig

Es gab auch andere Zeiten. Damals, in den 80ern, als die Arena noch Katzbachstadion hieß und zu den Spielen von Türkiyem, dem Migrantenclub, regelmäßig tausende, in der Spitze 12 000 Zuschauer kamen. Anfang der 90er Jahre stand der Amateurverein kurz vor dem Aufstieg in die zweite Liga. Was den DFB nötigte, den Begriff „Fußballdeutscher“ einzuführen. Schließlich kickten bei dem Club mit dem Halbmond und dem Berliner Bären im Wappen mehr Spieler ohne deutschen Pass, als die Statuten erlaubt hätten. Es ist dann nichts geworden mit dem Aufstieg. Aber für die migrantische Community war Türkiyemspor unschätzbar wichtig. „Als Vorbild dafür, dass man es hier aus eigenen Kräften zu etwas bringen kann“, so Ayata. Und es herrschte Mangel an positiven Identifikationsangeboten. Die türkische Nationalmannschaft fing sich regelmäßig Rekordpleiten ein, die Ligaclubs waren von heutiger Größe weit entfernt, beim Grand Prix wurde das Land verlässlich Letzter. „Worauf sollte man stolz sein?“, fragt Çelik. „Auf unsere schwarzen Haare?“ 30. Minute. Onur verlängert einen hohen Ball auf den kurzen Pfosten, Baris schiebt ein, Tor, Tor! 1:0 für Türkiyem! „Bisschen zufällig“, stellt Ayata nüchtern fest. „Tempo, jetzt nachlegen!“, ruft Çelik.

In den Glanzzeiten konnte man die Größe des Clubs schon am Gegenwind erkennen, der ihn traf. Die rechtsextreme Band Landser hatte ein Schmählied im Repertoire mit dem Refrain „Türkiyemspor, wieder kein Tor“. „Der Erfolg des Clubs muss denen richtig weh getan haben“, lacht Çelik.

Ayata hat für das Stück Gespräche mit zehn Türkiyemspor-Verbundenen aus verschiedenen Generationen geführt. Von der Trainerlegende bis zur 17-Jährigen, die heute im Frauenteam des Vereins spielt. Aber Çelik und Ayata haben kein Dokumentartheater im Sinn. „Wenn zwei türkische Jungs gemeinsame Sache machen“, spottet der Autor, „wird ja stets abgeklopft: Ist das authentisch? Ist das euer Leben?“

Das Stück handelt nicht nur vom Fußball, sondern auch von deutsch-türkischer Einwanderungsgeschichte

Stattdessen sind die Interviews zu fiktionalen Monologen aus einem Mikrokosmos verdichtet, der über sich selbst hinausweist. Es treten auf: ein Jahrhunderttalent. Ein Schiedsrichter. Die Mutter einer Spielerin auf der Psychiatercouch. Nicht die Vereinshistorie wird aufgerollt. Vielmehr spiegelt sich in den Erzählungen ein Stück deutscher Einwanderungsgeschichte. „Dieser ständige Kampf um Anerkennung und Teilhabe, die Möglichkeit des Scheiterns immer inbegriffen“, wie Ayata beschreibt. Kurz vor der Pause, 44. Minute. Tumult im Strafraum von Türkiyem. Aus dem Gewusel heraus fällt das 1:1, der Ausgleich für die Füchse. „Die Führung war ja auch unverdient“, kommentiert Ayata. Die letzte sehenswerte Szene für längere Zeit.

Neço Çelik sagt: „Der Verein ist in die Phase der Ohnmacht eingetreten.“ Die Spieler laufen momentan unbezahlt auf, aus Verbundenheit und Rettungswillen. Es fehlen elementarste Strukturen. Das Büro des vormaligen Präsidenten war sein Handy. Bilder von früher? Existieren nicht, das Archiv hat irgendwer mitgehen lassen. Geblieben ist der Name. „Türkiyem“ heißt übersetzt: „Meine Türkei“. Was in Çeliks Augen „Verpflichtung und Fluch zugleich“ bedeutet. Migrantenverein zu sein, das allein stiftet heute keine Identität mehr. Auch bei den Füchsen heißen die Spieler Emre oder Birol. Und in der Nationalelf spielt ein Mesut Özil. „Die Frage ist: Wofür will man stehen? Was ist die Philosophie?“, bringt der Regisseur das Dilemma auf den Punkt. 75. Minute. Gelb-rote Karte für die Füchse! Noch einmal Hoffnung?

Türkiyemspor, das war ja immer auch ein Verein, der sich engagiert hat. Gegen Ausgrenzung, gegen Homophobie im Fußball. Oder – kein Scherz – für die Rettung der Wale, in Zusammenarbeit mit Greenpeace. Ayata erzählt, dass ihm während der Recherche vor allem rückwärtsgewandte, arabeske Melancholie entgegenschlug, selbst unter den Jungen. Aber er ist überzeugt: „Wir werden es nicht erleben, dass in diesem Stadion wieder tausende Menschen Türkiyemspor zujubeln.“ Die Füchse haben noch ein paar gute Chancen, dabei bleibt es. „Das Unentschieden hilft keiner der beiden Mannschaften“, befindet der Autor. „Ich kann den Spielern keinen Vorwurf machen“, schließt der Regisseur. „In der momentanen Situation war nicht mehr drin.“

Ballhaus Naunynstraße, Premiere am 10. Mai, 20 Uhr

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