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Geburtstagsblatt: Das Prinzip Unbehagen

In München geborener Österreicher, Europäer, Weltbürger: Dem Meisterfilmer Michael Haneke zum 70. Geburtstag.

Michael Haneke ist anders, auch mit siebzig. Anderen würde man heute, wie sich das bei Artikelchen zum ersten seriös runden Künstlergeburtstag gehört, Lorbeerkränze aus zart vergilbten Ruhmesblättern aufs schüttere Haupthaar setzen. Bei Haneke, dessen Kreativkraft und Publikumsresonanz immer weiter zu wachsen scheinen, reden wir zur Abwechslung einfach mal vom nächsten Film.

Was man darüber weiß, ist wenig, aber verheißungsvoll. Der schlichte Titel: „Amour“. Die Schauspieler: Der große Jean-Louis Trintignant, die große Emmanuelle Riva und die große Isabelle Huppert. Die Story: Trintignant und Riva spielen ein uraltes Musikprofessorenpaar, Huppert spielt deren Tochter, die mit Familie im Ausland lebt. Nach einen Schlaganfall ist die Mutter plötzlich halbseitig gelähmt. Was bedeutet das für die Liebe – zwischen den Achtzigjährigen, aber auch zwischen ihnen und der Tochter?

Zwei Dinge dürfen nun fest vermutet werden. Erstens, dass „Amour“ demnächst beim Festival in Cannes laufen wird. Zweitens, dass der Film schmerzhafte Einsichten über die sogenannte Unverbrüchlichkeit jahrzehntelang eingewachsener Gefühle bereithält. Dass er Fragen stellt, statt Antworten zu geben. Oder, um es noch freier zu formulieren: dass er sogar die Fragestellung dem Zuschauer überlässt. Gewiss aber tut er das mit dem Behagen an jener Unbehaglichkeit, die grundsätzlich mit dem Abenteuer des Denkens einhergeht: Werde ich, wenn ich „Amour“ begriffen zu haben glaube, noch derselbe sein?

Ja, Michael Hanekes Filme sind strukturell unbehaglich. Vor allen die jüngeren, größeren Arbeiten erzählen nicht einfach von hier nach dort, gar mit ordentlich abhakbarem Ende, sondern packen ihr Publikum mittendrin, und ziehen es dann in ihre Tiefe. Sie erforschen klug – und lassen offen. Sie sind Thriller, aber die Fährten, die sie auslegen, funktionieren eher als virtuose Einladungen zur Bewusstseinserweiterung. Und lassen den Zuschauer damit aufregend allein.

So hat Haneke die Filmwelt erobert – und für „Das weiße Band" 2009 die Goldene Palme von Cannes bekommen, die er dort schon 2005 für „Caché“ und, warum nicht, 2001 für „Die Klavierspielerin“ verdient hätte. Vielleicht noch nicht für „Funny Games“, womit Cannes 1997 seinen Weltruhm begründete. Erstens erzählte er da eine Geschichte grausam von Anfang bis Ende, und zweitens dient der Film allein einem pädagogisch-protestantisch-moralischen Impetus. Das macht ihn wuchtiger, aber nicht besser.

Geboren ist Michael Haneke übrigens in München, aber ist er deshalb ein Deutscher? Nein. Nicht nur, weil er Österreicher ist. Nicht nur, weil er seine stärksten Filme in Frankreich gedreht hat. Ein Europäer ist Michael Haneke, ein Weltbürger wirklich guten Kinos. Jan Schulz-Ojala

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