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Kultur: Gedächtnis der Menschheit

Vandalismus im Irak: Proteste und Hilfsangebote

Giovanni Pettinato rauft sich die Haare. Seit Tagen erreichen den Direktor des römischen Instituts für Assyrienkunde Horrormeldungen aus der irakischen Hauptstadt. „Es ist doch ein schlechter Scherz“, erregt er sich, „dass das Nationalmuseum in Bagdad von nicht einer einzigen Bombe getroffen wurde, jetzt aber zum Ziel von Plünderern geworden ist“. Italiens Archäologen, die ausgezeichnete Beziehungen zu ihren irakischen Kollegen pflegen, hatten gehofft, „dass die Amerikaner ein solches Chaos verhindern werden“. Diese Hoffnung wurde enttäuscht: Lediglich die Angestellten des Nationalmuseums hatten vergangene Woche unter Einsatz ihres Lebens versucht, die antiken Schätze zu sichern – leider vergeblich.

Ein „Verbrechen an der Menschheit“ nennt auch Michael Petzet, Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege, die MuseumsZerstörungen. Proteste allerorten: Entsetzt zeigte sich Dirigent Daniel Barenboim am Rande einer Pressekonferenz in Berlin. Mesopotamien und seine Kulturschätze seien von historischer Bedeutung „für die ganze Welt, auch für das Judentum“. Kulturstaatsministerin Christina Weiss befürchtet, dass das Raubgut auf dunklen Kanälen in den internationalen Handel gelangt, und appelliert an die internationale Staatengemeinschaft, „alles zu tun, damit die geraubten Gegenstände möglichst schnell wieder an ihren Ursprungsort zurückkehren können“.

In höchstem Maß betroffen zeigen sich auch die Staatlichen Museen Berlins: Die mangelnde Präsenz der amerikanischen Kräfte sei „inakzeptabel“. Aus der Äußerung Jay Garners, des künftigen Chefs der irakischen Zivilverwaltung, es handele sich nur um „geringe Plünderungen“, ziehen die Museen in einer Erklärung den Schluss, „dass der Schutz von Kulturgut aus amerikanischer Sicht bislang noch keine hohe Prioriät bestitzt“. Die Erklärung weist gleichzeitig auf Pläne eines „American Council for Cultural Policy“ hin, durch eine Nachkriegsverwaltung des Iraks unter US-Führung die seit 1924 bestehende Antikengesetzgebung zu liberalisieren und an die Gesetzgebung der USA anzugleichen. „Es hätte fatale Folgen, wenn dadurch Kunst- und Kulturschätze des Iraks legal außer Landes gebracht würden.“

Wie viele der im Museum aufbewahrten Gegenstände aus 6000 Jahren Kulturgeschichte dem Vandalismus zum Opfer fielen, weiß zurzeit niemand. „Es ist unbekannt“, so Giovanni Pettinato in Rom, „ob sich zum Beispiel der Kopf einer jungen Frau aus Alabaster, ein Meisterwerk aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, noch im Museum befindet“. Ganz zu schweigen von den ersten Schrifttafeln der Menschheit, den ersten Texten zu mathematischen und religiösen Themen. In einem Land, in dem selbst Brutkästen aus Krankenhäusern gestohlen werden, dürfe es nicht verwundern, „wenn Diebe sich auch an kleinen Objekten vergreifen, für die sie sehr viel Geld erhalten können“, so Pettinato. IrakExperten vermuten, dass selbst von Kolossalskulpturen und anderen nicht transportierbaren Werken Teile abgebrochen wurden und auch solche Kunstwerke beschädigt sind, an denen die Diebe nicht interessiert waren. Auch für die archäologischen Grabungsorte im Irak fürchtet man das Schlimmste.

Mittlerweile fordert die Unesco den sofortigen Einsatz einer Polizeitruppe zum Schutz von Kulturgütern, an deren Finanzierung sich die internationale Gemeinschaft beteiligen solle. In Zusammenarbeit mit ihrem Kulturministerium bieten Italiens Archäologen der Unesco an, die Aufräumarbeiten in irakischen Museen und an Grabungsorten zu übernehmen. Noch in dieser Woche wird die Unesco eine internationale Experten-Delegation zusammensetzen, die so bald wie möglich in den Irak reisen soll. Der stellvertretende Unesco-Generaldirektor Mounir Bouchenaki warnt außerdem vor dem Ankauf gestohlener Kunstschätze. Alle Kulturministerien der Nachbarländer seien alarmiert. Und internationale Auktionshäuser wie Drouot in Paris oder Christie’s und Sotheby’s in London betonen, dass sie die Herkunft der ihnen angebotenen Ware ohnehin aufs Genaueste überprüfen. mig/chp/dpa

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