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Kultur: Gedanken auf der Spitze

Die neue Ausgabe der Literaturzeitschrift „Bella Triste“

Junge Menschen schreiben Literatur – und manchmal entstehen dabei Glanzstücke. So wie in „Bella Triste“, der derzeit interessantesten deutschsprachigen Zeitschrift für junge Literatur. Seit dem Jahr 2001 wird die Zeitschrift von Studierenden des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim herausgegeben und erscheint dreimal jährlich. Auf liebevoll gestalteten Seiten werden hier literarische Entdeckungen aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert. Jedes Heft soll ein individuelles Design besitzen und eine Probebühne sein für die jungen Stimmen im Literaturbetrieb.

Die aktuelle Ausgabe 28, in passend winterliches Türkis gekleidet, nimmt diese Messlatte mit besonderer Bravour. Das aufwendige Layout trifft auf die ebenso außergewöhnliche Sprachkunst zumeist unbekannter Autorentalente. Von den zwölf gedruckten Autoren fallen lediglich Jochen Schmidt, Nora Gomringer und Dorothee Elmiger als bekanntere Namen heraus. Die großen literarischen Überraschungen dieser Ausgabe liefern jedoch andere.

So bietet der Dichter Thien Tran in seinem Gedichtzyklus „Hall of Fame“ unter anderem eine poetische Wittgenstein-Interpretation und ein Portraitgedicht über „Rolf Dieter Brinkmann; mit verbundenen Augen, schnell skizziert“ – wie der Untertitel verrät. Thien Tran zeichnet das wütende Alltagsparlando Brinkmanns in trocken prosaischen Sätzen nach („also Gedanken auf die Spitze getrieben / oder Emotionen radikalisiert, um einen Tropfen Wut / zu kondensieren“). Von bloßer Nachahmung oder Persiflage kann hierbei keine Rede sein. Vielmehr entsteht der Eindruck einer ästhetisch reflektierten Abrechnung mit dem deutschen Pop-Poeten der sechziger Jahre.

Das stärkste Stück stammt von Philipp Schönthaler. In seinem Prosatext „shoppingmall“ baut er den Kosmos eines Einkaufszentrums im amerikanischen Stil nach. „Die Geschichte der Menschheit lässt sich durch die Geschichte des Shopping erzählen“, eröffnet ein Eingangszitat. Der weitere Verlauf des Textes lässt sich so verstehen: das als Konsument zum Objekt von Produktmarketing verkümmerte Individuum strukturiert seinen Alltag in und um sein örtliches Einkaufszentrum. Philipp Schönthaler präsentiert eine Collage aus karikierten Szenerien, Zitaten und Statistiken. Das Ganze wird von einem scharfen ironischen Unterton zusammengehalten. Wie dieser Text stilistisch gewebt ist und so die ethologischen, architektonischen und werbeästhetischen Strukturen westlicher Konsumkultur beschreibt, ist gedanklich gewitzt und sehr, sehr lesenswert. Florian Zimmer-Amrhein

Bella Triste: Zeitschrift für junge Literatur, Nr. 28, 5,35€, www.bellatriste.de

Florian Zimmer-Amrhein

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