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Kultur: Gegen die Mono-Kultur

Eine Frage der Weltanschauung: 3D-Fans glauben an das Stereobild – und berufen sich auf eine Berliner Tradition

Wer seiner Zeit voraus ist, hat es mit der Gegenwart nicht leicht. Visionäre wurden von jeher verlacht und verfemt. Sie brauchen daher einen langen Atem und viel Geduld mit den Zeitgenossen.

Der Stereophile zum Beispiel hat es noch heute schwer. Nicht nur straft ihn die offizielle Kulturwelt mit Missachtung, auch muss er an den Bildern leiden. An der Berlinale wird er ebenso wenig Freude haben wie an den meisten Fotoausstellungen. Denn die Bilder unserer Zeit sind flach. Stereophile aber schwören auf Raumbilder, besser bekannt unter dem Kürzel 3D.

Für Peter Kosmowski ist dies keine Bagatelle, sondern eine Frage der Weltanschauung: „Stereophonie ist heute in aller Ohren, aber Stereoskopie leider nicht in aller Augen“, klagt der Pensionär. Und wer wollte heute noch Mono hören? Der ehemalige Grafik-Designer ist einer der Initiatoren der Berliner 3D-Szene. Vier Mal im Jahr versammelt der 63-Jährige den Arbeitskreis Stereoskopie im Technikmuseum. Die knapp zwei Dutzend Visionäre betrachten teils selbst aufgenommene Bilder und Filme durch die 3D-Brille und informieren über neue Techniken.

Im verdunkelten Saal erregen Dampfloks, Urlaubsdias oder auch mal Aktaufnahmen gleichermaßen Begeisterung. Die Motive sind relativ egal. Nur dreidimensional müssen sie sein. „Wir sind normale Menschen aller Berufe“, sagt Kosmowski. Allerdings nicht mehr die Jüngsten: Nachwuchs wird dringend gesucht, auch beim konkurrierenden Raumbildclub im Museum Europäischer Kulturen. Von Natur aus sind fast alle zweiäugigen Menschen Stereoskopen. Der Mensch sieht räumlich, weil die Augen zwei leicht von einander versetzte Bilder wahrnehmen. Erst das Gehirn fügt sie zu einem räumlichen Ganzen. Um auch in Film oder Papierbild tief hineinzuschauen, müssen die Augen zwei einzelne Bilder sehen, sonst reduziert sich das Sehvermögen auf ein Monobild.

Der Kampf gegen diesen Betrug am Auge währt schon seit Jahrhunderten. Leonardo da Vinci stellte Überlegungen zum perspektivischen Sehen an, als Nestor der Stereoskopie gilt der Naturwissenschaftler Charles Wheatstone. Der britische Professor konstruierte um 1830 das Spiegelstereoskop, den ersten 3D- Bildbetrachtungsapparat.

Spätere Jünger Wheatstones entwickelten das Verfahren weiter, etwa der Stereo-Pionier Sir David Brewster, der eine doppellinsige Kamera erfand. Mit einem Handbetrachter wie dem amerikanischen Holmes-„Revolver“-Stereoskop entstand vor den erstaunten Augen des Betrachters ein Raumbild, das weit in die Tiefe zu ragen scheint. Die Erfindung ließ sich Gewinn bringend vermarkten: Nach der Weltausstellung von 1851 verkaufte sich allein in Paris und London eine Viertelmillion Prismenstereoskope.

Vorreiter der dritten Dimension war stets die Stadt Berlin. Nicht nur florierte der Handel unterm Ladentisch mit Nacktfotos, diskret „Akademien“ genannt. Der Berliner Konstrukteur August Fuhrmann erfand um 1900 eine Rotunde, in der bis zu 50 rundum laufende Bildpaare rotierten. An dem kunstvoll intarsierten und mit Edelhölzern verkleideten „Kaiserpanorama“ konnten 25 Personen gleichzeitig sitzen. Auf handkolorierten Glasdias zog eine illustrierte Wochenschau der Jahrhundertwende vorbei.

Ende der 1970er-Jahre stieß der Berliner Stereoskopie-Historiker und Sammler Erhard Senf bei einem Schöneberger Trödler auf ein Konvolut von 13000 historischen Stereoskopien. Die Motive zeigen fremde Völker, den Boxeraufstand in China, aber auch das alte Berlin in unvergleichlicher Plastizität. Unter Aufwendung seiner Ersparnisse rettete Senft diesen Bildschatz für die Nachwelt und holte 1981 ein originales Kaiserpanorama zurück nach Berlin. Heute befindet es sich im Besitz des Märkischen Museums, ein weiteres historisch nachempfundenes, mit moderner Technik ausgestattetes Panorama kann man im Deutschen Technik Museum besichtigen.

Im 19. Jahrhundert war Stereo-Gucken keine exotische Randerscheinung, sondern ein Massenphänomen. Der mobile 3D-Schausteller O. Jann verzeichnete im Jahr 1869 rund 64000 Besucher in Berlin und bis zur Jahrhundertwende avancierte das Betrachten von Raumbildern zu einer Lieblingsbeschäftigung des Bürgertums. Im Mittelpunkt abendlicher Familiengeselligkeit stand noch nicht der Fernseher, sondern das Stereoskop.

Diese Tradition endete mit dem rasanten Aufschwung der Flachbilder im 20. Jahrhundert. Film und Fotografie verdrängten die aufwändige Raumbildtechnik. In den späten 1950ern drehte Jack Arnold zwar berüchtigte Monster-Filme wie „Der Schrecken vom Amazonas“ im neu entwickelten Rot-grün-Verfahren, doch blieben die noch heute in Clubs äußerst beliebten Grusel-Raritäten eine historische Episode – ebenso wie der animierte Weiße Hai. Nach vereinzelten Experimenten stellte auch das Fernsehen seine Versuche mit den plastischen Reizen einer Ingrid Steeger wieder ein: Das Resultat des flimmernden Rot-grün-Verfahrens waren vor allem Kopfschmerzen.

Mittlerweile ist die Technik weiter fortgeschritten und Berlin ist wieder Stereostadt. Der Potsdamer Platz bietet gleich zwei Imax-Kinos, das im Sony-Center verfügt über die neueste Technik mit einer infrarotgesteuerten Computerbrille. Allerdings kommen Filme wie „Haunted Castle“ über die Effekthascherei nicht weit hinaus. Neue Hoffnungen weckt bei den Fans der Unterwasserfilm von James Cameron „Die Geister der Titanic“, der kommende Woche Premiere hat.

Die Stereo-Freunde haben ihren Kampf noch nicht aufgegeben. Und warum auch? Die seit der Antike bekannte Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel ist, setzte sich schließlich auch erst viele Jahrhunderte später durch. Räumliches Sehen kennt man seit Euklid. Die ersten Schlachten gegen die Kulturhoheit des Monobildes im 20. Jahrhundert wurden zwar verloren, doch der Krieg ist noch nicht vorbei. Vielleicht hat er gerade erst begonnen.

3D-Videovorführung „Dampflok & Zeppelin“ im Technikmuseum bei der Langen Nacht der Museen am 31.1. stündlich ab 18.30 Uhr.

Premiere von J. Camerons „Titanic 3D“ im Kino Imax Discovery Channel am 2.2.

Der Berliner Raumbildclub trifft sich wieder am 13.3. im Museum Europäischer Kulturen. Thema: „Kodakfilme im Sichtvergleich“.

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