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Kultur: Gegen die Uhr

K.R.H. Sonderborg zum 80. – eine Retrospektive in Emden

Vor sieben Jahren schenkte der Münchner Galerist Otto van de Loo seine exquisite Sammlung der Kunsthalle in Emden. Zu den Meisterstücken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehören auch zehn Werke von K.R.H. Sonderborg, überwiegend Tuschzeichnungen. Der 80. Geburtstag des in Hamburg lebenden Künstlers ist nun Anlass für einen Blick auf das Lebenswerk.

Bekannt geworden ist der am 5. April 1923 als Kurt Rudolf Hoffmann geborene Zeichner und Maler als deutscher Vertreter des amerikanischen „action painting“. Die frühen Tuschzeichnungen um 1950 verraten die Quellen der Inspiration. Die mit breitem Pinsel ausgeführten Schwarzweißblätter lassen an Kräne denken. In Stromabnehmern, Kabeln, Gittermasten und Maschinen entdeckt Sonderborg grafische Strukturen. Er versetzt sie in heftig kreisende Bewegung oder gruppiert sie zu Sequenzen von Geheimzeichen, die wie die Partitur einer Musik fürs Auge rhythmisch über den Malgrund verteilt werden. Die Diagonale erklärt er zum wichtigen kompositorischen Prinzip, Schwarz zur Farbe der Wahl, dem sich ein mal wässriges, mal blutiges Rot zugesellt.

Anfang der sechziger Jahre lernt Sonderborg in New York Avantgardekünstler wie Jim Dine, Claes Oldenburg und Willem de Kooning kennen. Tagsüber streift er durch die Metropole, nachts erhält das Gesehene im Hotelzimmer des „Chelsea“ seine künstlerische Form. Er breitet Papierbögen und Leinwände auf dem Fußboden aus und ordnet in aller Ruhe seine Malutensilien, darunter Kratzer, Schaber, Rasierklingen und sogar Autoscheibenwischer. Hockend, liegend oder auf Knien entsteht in Windeseile das Bild.

Bisweilen zeugen Abdrücke seiner nackten Füße von der körperlichen Anwesenheit des Künstlers im Bild. Anstelle von Titeln bezeichnet er seine Werke häufig nur mit Entstehungsort, Datum und Uhrzeit, etwa „New York, 22.1.61, 22.07 – 23.25“. Der spontanen Malweise entspricht die Ortlosigkeit des Künstlers, der auch mit einer Professur ab 1965 in Stuttgart nicht zur Ruhe kommt. „Ich bin ein Maler ohne Atelier, immer in einem Provisorium. Und das liebe ich!“, bekennt er. Die häufigen Ortswechsel entspringen wohl auch einem Misstrauen gegenüber Deutschland. 1942 hatte die Gestapo den 19-Jährigen für vier Monate ins KZ Hamburg-Fuhlsbüttel gesteckt, weil er als Jazzliebhaber und Anhänger der „Swing Boys“ suspekt war. Distanzierung spricht auch aus seiner Entscheidung, die dänische Stadt Sønderborg, wo er als Sohn deutscher Eltern geboren wurde, als Künstlernamen zu wählen.

Überwiegend lässt sich Sonderborgs Werk der „informellen“ Abstraktion zuordnen. Allerdings hat er die Dinge als Malanlässe niemals vollständig aus seinem Lebenswerk herausgehalten, vor allem wenn sie ihm bedrohlich erschienen wie etwa 1974 ein elektrischer Stuhl oder ein Maschinengewehr („Peacemaker“, 1981). Sonderborgs späte Acrylgemälde schließlich – taumelnde Bögen, zerfetzte Farbflächen, nervöse Schraffuren –, die er in Rekordzeit auf die Leinwand wirbelte, sind das Gegenteil eines betulichen Alterswerks.

Kunsthalle Emden, noch bis zum 20. Juli. Katalog 18,50 Euro

Günter Beyer

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