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Kultur: Geist & Macht Von den Grenzen

des Dialogs

Für Voltaire, die schrille Stimme der Vernunft, den unermüdlichen Freigeist, Literaten und Aufklärer par excellence, war China ein Musterland. In seinem „Traktat über die Toleranz“ zog er es gar als Kronzeugen für ein aufgeklärtes Staatswesen heran, rühmte Kaiser Yongzheng als den „mildesten und weisesten aller Menschen“. Sein Drama „Das Waisenkind aus China“, das er als Beispiel für „die natürliche Überlegenheit der Vernunft über die blinde, barbarische Macht“ verstanden wissen wollte, ist dem Herzog von Richelieu zugeeignet, einem der mächtigsten Politiker seiner Zeit. Indem Voltaire seinen Text so ins Regime einschleuste, versuchte er seinen Ideen dort Geltung zu verschaffen. Eine List, getragen von der verwegenen Hoffnung des Geistes, die Macht möge Vernunft annehmen.

Diese Hoffnung hat noch jedesmal getrogen, auch bei der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung”. Auch deren Macher konzipierten sie als Trojanisches Pferd, das die Themen der Aufklärung in Chinas gesellschaftlichen Diskurs einschleusen sollte. Zwar gibt es kulturhistorisch gar keine „Kunst der Aufklärung“; Maler wie Gainsborough, Goya und Friedrich hatten wenig mehr gemeinsam, als dass sie Kinder des 18. Jahrhunderts waren. Hätte man als Thema „Die Kunst des Biedermeier“ gewählt, hätte dies dem Sprachgebrauch eher entsprochen – und es hätte besser mit der Lage in China korrespondiert, ist sie doch geprägt von Stagnation, Resignation und Reaktion. Aber damit hätten die Ausstellungsmacher hierzulande nicht punkten könnten. Und sie hätten nicht das befördern können, was ihrem Tun und Trachten Legitimation verleihen soll: den interkulturellen Dialog.

Der wird in der Kulturpolitik gern als Patentrezept im Umgang mit schwierigen Partnern gesehen. Ob mit der islamischen Welt, mit China oder Schwarzafrika – die „Dialoge“ folgen fast immer dem gleichen Muster. Stets ist es die westliche Seite, welche die Initiative ergreift, das Programm gestaltet und die Zeche bezahlt. In diesem Fall rund zehn Millionen Euro, von denen das Auswärtige Amt zwei Drittel beigesteuert hat. Warum sucht eigentlich nie die andere Seite den Dialog? Warum stellt China nicht zehn Millionen zur Verfügung, um ein Thema ins Land zu holen, nach dem es leidenschaftlich hungert?

Die Vorstellung eines harmonischen Zwiegesprächs ist verführerisch, auch in der auswärtigen Kulturpolitik. Diesem Idealismus tut es dann kaum Abbruch, wenn er unsanft auf den Boden der Realpolitik zurückgeholt wird. Mit Tilman Spengler wurde einer der profiliertesten Vermittler chinesischer Kultur vor die Tür gesetzt. Nun hat die deutsche Delegation das Gesicht verloren, und die Hardliner in Peking haben einmal mehr gezeigt, dass sie nicht am Dialog interessiert sind, sondern am Monopol. Ebenso gut hätten sie die Vernunft selbst davonjagen können.

Geist und Macht sprechen nie dieselbe Sprache. Friedrich II. ließ Voltaire verhaften, Goya landete vor der Inquisition, und Konfuzius, Vizekanzler im Staate Lu, musste das Land verlassen und mitansehen, wie all sein guter Rat in den Wind geschlagen wurde. Dieter Schreiber

Dieter Schreiber

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