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Kultur: Gelobtes Opernland

Immer mehr arbeitslose US-Sänger hoffen auf ein Engagement an deutschen Theatern.

Seit September ist Katie Bolding in Berlin. Derzeit hat die 27-jährige Sopranistin einen befristeten Vertrag als Choristin bei der Staatsoper. Doch eigentlich ist die Amerikanerin auf der Suche nach einer Festanstellung, irgendwo im deutschsprachigen Raum. Katie Bolding ist kein Einzelfall. Derzeit zieht es jede Menge klassisch ausgebildete Solisten aus den USA hierher, auf der Suche nach Arbeit. „Es werden noch mehr kommen“, prophezeit Alexander Frey, ein amerikanischer Dirigent, der seit mehr als 20 Jahren in Berlin Nachwuchskünstler unterrichtet.

Seine Landsleute sind Opfer der Finanzkrise. Im Gegensatz zu Deutschland müssen sich die Opernhäuser in den USA fast vollständig durch Spenden finanzieren, erklärt der Tenor John Rodger, der vor einem Monat aus den Vereinigten Staaten gekommen ist. Doch diese Gelder bleiben derzeit aus, weil vermögende Amerikaner ihr Geld aus Angst vor einer Ausweitung der Krise zurückhalten. Also sparen die amerikanischen Opernhäuser: Sie reduzieren die Zahl der Produktionen, suchen Stücke aus, die mit wenigen Sängern und Instrumentalisten zu stemmen sind – oder schließen im Extremfall ihre Pforten. Die New York City Opera beispielsweise hat die Zahl der Aufführungen in der gesamten Saison 2011/2012 auf 16 reduziert – so oft hebt sich an einem mittelgroßen deutschen Musiktheater jeden Monat der Vorhang.

Für John Rodger, der die vergangenen Jahre unter anderem an der New York City Opera gearbeitet hat, gab es in der laufenden Saison keine Rolle. Der Sänger mit kanadischer und US-amerikanischer Staatsangehörigkeit sucht nun auch in Deutschland ein Engagement als Ensemblemitglied. Diese Art der Festanstellung für Solisten ist eine Besonderheit der deutschsprachigen Opernszene. In anderen Ländern werden Sänger nur mit Gastverträgen beschäftigt. In den USA gehen viele Opernsänger nebenher kellnern, babysitten, nehmen einen Bürojob an oder arbeiten sogar als Kopfgeldjäger, um irgendwie über die Runden zu kommen. Da ist die Aussicht auf eine Vollzeitstelle als Sänger, von der man leben kann, schier traumhaft.

„Ich will mich als freischaffender Künstler in den USA nicht entscheiden müssen, ob ich eine Krankenversicherung habe oder eine Familie gründe“, beschreibt der 34-jährige Rodger das Problem. Bislang hat er in Deutschland an mehr Vorsingen teilnehmen können, als er gedacht hätte. „Ich habe in meiner Karriere mehr als 30 Rollen gesungen, und so viele Tenöre mit meinem Repertoire gibt es nicht“, sagt er. In den nächsten sechs Monaten hofft er, Arbeit zu finden.

Auch die Mezzosopranistin Stephanie Weiss registriert seit diesem Herbst deutlich mehr Anfragen von Freunden. Sie suchen nach Wohnungen in Berlin, wünschen sich Tipps, wie man Agenten trifft oder wie man sich am besten um ein Vorsingen bemüht. Die Amerikanerin lebt und arbeitet seit 2004 in der deutschen Hauptstadt: „Die Sänger kommen nach Berlin, weil die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu München oder Frankfurt am Main günstiger und die Wohnungssituation entspannter ist“, sagt sie.

Doch so eine Vorsinge-Tour quer durch Deutschland ist nicht billig. „Sie müssen 5000 bis 10 000 Dollar investieren“, sagt Jean-Ronald LaFond. Der gebürtige Haitianer mit US-amerikanischem Pass glaubt, dass sich viele Sänger aus den USA diese Ausgaben gar nicht mehr leisten können. Die Geschäfte in Amerika laufen so schlecht, dass sich eine solche Summe kaum ansparen lässt. Dennoch rät er jungen Sängern weiterhin, nach Deutschland zu kommen. „Es gibt noch immer 84 Theater, an denen man anheuern kann“, sagt er.

Katie Bolding hat drei Jahre gebraucht, bis sie das nötige Geld zusammenhatte. „Damit kann ich hier ein Jahr lang auskommen“, sagt die Sopranistin. Und wenn dieser Plan nicht aufgehen sollte, werde sich für Amerikaner, die bleiben wollen, schon ein anderer Job finden lassen, meint Stephanie Weiss aus Erfahrung – sei es als Englischlehrer, Online-Administrator oder als Kindermädchen. Für so manchen, der zur Vorstellungstournee nach Europa kommt, ist es der letzte Versuch, vom Operngesang zu leben. Constance Frey

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