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Ausstellung: Gemeinschaftskunde

Das Museum Europäischer Kulturen in Dahlem wird wiedereröffnet – und die Debatte über seinen Standort flammt neu auf.

Europa hat es nicht leicht in diesen Tagen. Im Zuge der Finanzkrise wird die Frage nach Solidarität gestellt und mit ihr die nach einer europäischen Identität. Wer ist also dieser mysteriöse Europäer, der sich im Dickicht seiner regionalen, nationalen und supranationalen Identitäten zu verirren droht?

Im wiedereröffneten Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem erinnert er an einen Mann, der von einer Bad-Taste-Party kommt. Seine Hose ist eine Collage mit Botticelli-Motiven, die von einem Gürtel aus Münzen längst überwundener europäischer Nationalwährungen besteht. Als Knöpfe seines Hemdes dienen Kronkorken einer bayerischen Weißbiermarke. Seine Begleiterin, die Europäerin, trägt ein Kleid, dessen Ärmel eine Europakarte zeigen und dessen lange Schleppe mit Schwarz-Weiß-Fotos bestickt ist. Die Figuren des Berliner Künstlers Stephan Hann sind ein Versuch des Museums, seinem neuen Motto „Kulturkontakte“ gerecht zu werden, ohne sich zu sehr auf Trennendes festzulegen. Schließlich wimmelt die neu komponierte Dauerausstellung geradezu vor regionalen Trachten. Europa, die lebendige Einheit in der Vielfalt.

Gut zwei Jahre lang wurde das vom Architekten Bruno Paul, einem Meister der frühen Moderne, entworfene Haus umgestaltet, um zumindest einem Bruchteil der mehr als eine Viertelmillion Objekte zählenden Sammlung ausstellen zu können. „Wir sind kein politisches Museum“, sagt Direktor Konrad Vanja, der die Ausstellung „Kulturkontakte“ als Flagschiff des Museums bezeichnet. Stolz präsentiert er den Bau, der oft im Schatten des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst stand. Ab Donnerstag zeigen sich die europäischen Kulturen in neuem Licht, das durch eine Art schlichter Kirchenfenster ins geräumige Foyer fällt. Zwei Seitenfenster wurden als Reminiszenz an die alten Zeiten trübe gelassen, um die „Vergangenheit zu ehren“, wie Vanja sagt. Das Museum in seiner jetzigen Form entstand 1999 aus der Vereinigung des in Dahlem ansässigen, damals 110 Jahre alten Museums für Volkskunde mit der Europäischen Sammlung des Museums für Völkerkunde aus Ost-Berlin.

Der seit zehn Jahren geplante Umzug ins Kulturforum am Potsdamer Platz ist noch nicht terminiert, doch nun werden Stimmen laut, die eine Ansiedlung an einem anderen Ort fordern: im Humboldt-Forum, das seinen Platz im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss finden wird. Ins Schloss sollen die beiden Schwestermuseen ziehen, die Schätze außereuropäischer Kulturen sind das Herzstück des Humboldt-Konzepts. Aber wäre es nicht absurd, die europäischen Stücke in der Peripherie zu belassen? Die „FAZ“ bemerkte zu Recht, dass die Neugier der Humboldt-Brüder nicht an Kontinentgrenzen endete. Und stammen nicht Teile der Sammlung aus der königlich-preußischen Sammlung im Schloss?

Allerdings käme der Umzug einem Todesstoß für den Museumsstandort Dahlem gleich. „Es wäre problematisch, wenn wir hier in gar nicht so ferner Zukunft alleine wären“, sagt die Kuratorin Elisabeth Tietmeyer. „Es kommt darauf an, dass Dahlem nicht in den Tiefschlaf fällt.“

Verlustängste sind ein Leitthema im Museum Europäischer Kulturen. Irene Ziehe, die zusammen mit Tietmeyer die Ausgestaltung der neuen Räumlichkeiten plante, will „diese Ängste überwinden“. Gemeint sind damit die vielen lokalen und regionalen Bräuche und Traditionen, die in einer als krakenartig empfundenen Europäischen Union verloren zu gehen drohen. Deshalb wiederholen die Ausstellungsmacher geradezu mantrartig den Begriff „Hybridität“.

Ziehe geht es um „Verortungen“. Schwierig ist nur, dass es zwar traditionelle süddeutsche Trachtenkleider gibt und weitgeschwungene slawische Röcke, aber keine sichtbaren gemeinsamen europäischen Objekte. Deshalb stehen die beiden Figuren „Der Europäer“ und „Die Europäerin“ in der Ausstellung. Ein gesamteuropäisches Kleidungsstück, was sollte das auch sein, etwa der graue Bürokraten-Anzug aus Brüssel? Selbst bei modernen deutschen Kleidungsstücken fiel die Auswahl offenbar nicht leicht, nun hängen die Trikots der Fußballnationalspieler Mesut Özil und Lira Bajramaj hinter Glasscheiben. „Eingedeutschte“, gemischte Identitäten. Man muss wohl Sportlertrikots aushängen, um das Zusammengeschusterte europäischer Identitäten zu betonen. Ein schwedischer Bauernschrank, ein sizilianischer Eselskarren, ein Souvenirtuch aus Straßburg zeugen von der Handwerkskunst des Kontinents.

Einfacher lassen sich „Kulturkontakte“ darstellen, die über die Magenschleimhaut stattfinden. Der Döner, der von einem türkischen Einwanderer in Berlin erfundene Express-Schlager, wird in Gestalt eines Werbe-Spießes aus Plastik als Beispiel des gelebten Kulturaustausches präsentiert. Auch ein dem christlichen Advent entlehnter Ramadan-Kalender mit Süßigkeiten für die Kleinen ist in Dahlem zu sehen. Im Hunger sind wir alle vereint. Apropos Fest: In einem mechanischen Weihnachtsberg aus dem Erzgebirge gleiten durch Seilzüge bewegte Figuren durch die Geschichten des Evangeliums.

Das Prunkstück der Ausstellung ist für Ausflüge geeignet: eine schwarze venezianische Gondel von 1910, das erste Objekt, das der Besucher vom Foyer aus erblickt. Abseits der europäischen Alltäglichkeiten präsentiert sich im Seitenflügel eine Ausstellung mit in Nord- und Osteuropa entstandenen Gemälden des Berliner Künstlers Georg Kiesewetter aus dem 19. Jahrhundert. Sie stammen aus einer Zeit, als die deutsche Identität genauso zersplittert war wie heute die europäische. 

Kiesewetter porträtierte Kalmücken, Tataren und Kirgisen, die selbst eingefleischte Kosmopoliten nur eingeschränkt als Europäer bezeichnen würden. Zurück in Deutschland, hielt der Maler Vorträge über die „Fremden“. Vielleicht wird sich eines Tages eine Ausstellung mit den Gemeinsamkeiten von Europäern und Kaukasiern beschäftigen. Dann könnte ein erneuter Besuch in Dahlem nicht schaden. Falls das Museum sich noch dort befindet.

Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25 (Dahlem). Eröffnung am 8.12., 19 Uhr. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr.

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