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Goethe gemalt von Johann Heinrich.

© dpa

Generationendebatten: Immer auf die Kleinen

Früher waren alle klüger, idealistischer, mutiger: Generationenschelten sind beliebt. Dabei ist es ab einem gewissen Grad nur noch unfair, die Schwierigkeiten einer Zeit denen anzulasten, die in ihr leben müssen. Ein Diskussionsangebot.

Es gibt – gefühlt– diese Phasen der gesteigerten Gegenwartskritik. Wenn alle Medien gleichermaßen den Niedergang von fast allem zu beschwören scheinen. Aus verfehlten Präsidenten werden verfehlte Generationen, aus einer schwierigen Zeit das Versagen derer, die in ihr leben.

Aber der Reihe nach rückwärts: Gerade parlierten im ZDF-„Nachtstudio“ ein Philosoph, ein Publizist und ein Kulturwissenschaftler unter dem Motto „Avanti Dilettanti!“ darüber, ob die allgemeine Misere darauf zurückzuführen sei, dass heute, so die Ankündigung der Sendung, „selten die Experten und Wissenden, sondern sehr häufig die Dilettanten und Stümper“ Schlüsselpositionen besetzten.

Alle drei Diskutanten hatten Bücher veröffentlicht, die sich im weiteren oder engeren Sinn mit dem Dilettantismus als Problem der Gegenwart auseinandersetzen. Alle präsentierten ein schlüssiges Bild derselben – und wurden sich doch nicht ganz einig: darüber, ob etwa die Finanzkrise nun tatsächlich, wie es der Publizist Thomas Rietzschel anführte, das Produkt von Dilettantismus sei. Oder ob sie nun, wie der Philosoph Michael Schmidt-Salomon konterte, im Gegenteil das Werk „debiler Experten“ sei. Der Antwort auf die drängendste Frage kam die Runde, die damit vielleicht sogar selbst dilettierte, nicht einmal nah: wie er denn aussehen müsste, der nicht-dilettantische Umgang mit den großen Systemfragen dieser Zeit.

Zuvor hatte „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher in der „FAS“ den „Sturz der Babyboomer“ verkündet, jene – zumindest in Westdeutschland – „erste Generation, die im klassischen Sinne nichts ,durchsetzen’ musste“ und darob, als politische Generation, marktgläubig und ideenlos wurde. Damit nutzte Schirrmacher den Rücktritt Christian Wulffs vom Amt des Bundespräsidenten, um gleich im Februar die zweite Generationsbefindlichkeitsdebatte des Jahres loszutreten. Nachdem Anfang Januar die „Zeit“-Autorin Nina Pauer ihren Schmerz über hypersensible „Schmerzensmänner“ in der „jungen“ Generation ins kollektive Gerede einspeiste, rückt Schirrmacher nun auch deren Väter und ältere Brüder ins Blickfeld.

Das alles fügt sich nur zu gut zu einem Panorama der Unfähigkeit: Da sind die schwächlichen Babyboomer, Dilettanten allesamt, die nicht anders konnten, als ihre Söhne zu verweichlichten Grüblern zu erziehen. Die selbst finden eh keine Antworten auf gar nichts mehr; weder auf die Euro-, noch auf ihre eigenen Sinnkrisen. Die Occupybewegung, gründend auf der Gesellschaftsschelte eines Greises, glänzt seit bald einem Jahr öffentlich durch das Fehlen einsichtiger Lösungsvorschläge. Die Piraten bleiben am Ende eine technikgläubige Minderheit, deren Markenkern bezeichnenderweise weniger durch politische Forderungen als durch Anregungen für neue politische Verfahrensweisen konturiert wird. Eine Partei ohne Wirtschaftsprogramm in Krisenzeiten? Prost Mahlzeit.

Wer kann uns noch retten? Die Intellektuellen? Bereits 2006 beklagte Schirrmachers Doktorvater, der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, in seinem „Cicero“-Essay „Keine Zeit für Genies“ das Aussterben der bedeutenden Theoretiker mit umfassenden gesellschaftlichen Konzepten. Dass etwa in Frankreich laut Gumbrecht „auf eine weithin leuchtende Pléiade von Meisterdenkern allenthalben fleißige Spezialisten“ gefolgt seien, passt zu Schirrmachers Kritik an den deutschen Babyboomern. Aus deren Reihen gibt es, laut Schirrmacher, lediglich in Bereichen wie Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Wissenschaft „staunenswerte“ oder gar „brillante Köpfe“, nicht aber in der Politik. Gumbrechts Kritik an einer Generation von Theoretikern und Schirrmachers Schelte einer politischen Generation haben damit gemein, deren Stärken eher im Nachvollziehen, im Ausdeuten und Füllen eines Anforderungsprofils zu sehen, nicht aber im genuinen Impuls.

Man kann sich mit diesem Befund nun anhimmelnderweise alten oder gar toten Männern zuwenden. Oder man widmet sich noch einmal den Generationen der Versager – und entdeckt sie mit neuem Verständnis neu. In dem Maße nämlich, in dem man fragt, inwieweit die Lebenskonzepte der Alten heute noch umsetzbar, inwieweit große Ideen, Ideale und nicht zuletzt Ideologien zeitgemäß wären.

Dass die Babyboomer, Kinder des Überflusses, als erste Generation nichts mehr durchsetzen mussten, ist ihnen schwerlich zum Vorwurf zu machen. Dass Kinder der Folgegeneration auf eine zunehmend verwirrende Lebenswelt mit Verwirrung reagieren, ist in etwa so folgerichtig wie die Linksideologisierung der 68er, die heute so gern zur letzten „starken“ Generation verklärt werden. Dass weder Occupy noch politische Funktionsträger eine systemimmanente Lösung für die Krise der Finanzmärkte haben – das entschuldigt nicht zuletzt die, die sich da wie dort nicht aufgehoben fühlen und trotzdem keine eigene Alternative anbieten können. Zuletzt: Dass statt großer Arbeiten am Überbau Fragenbausteine verhandelt werden, die zu einem bedeutenden Teil das Internet formt – das ist in einem Zeitalter der Netze zumindest folgerichtig.

Das alles rechtfertigt natürlich weder die Mittelmäßigkeit und Pflichtvergessenheit der derzeit mittleren Generation konservativer Politiker, noch die Jämmerlichkeit einiger junger Egozentriker. Es fragt nur nach der Rechtmäßigkeit der wiederkehrenden Generationenschelten im Rahmen von mal mehr, mal weniger latenten Generationenvergleichen.

Man kann sich einen zupackenden Zeitgeist nicht nach Belieben backen. Es lohnt auch nicht, eine Zeit zu ersehnen, in der das Sinnbild des Dilettanten kein überforderter Politiker, sondern das Universalgenie Johann Wolfgang von Goethe war. Wie man sich zu einem System verhalten soll, dessen wachsende Komplexität es immer schwieriger macht, nach Auswegen aus ihm zu suchen, das scheint aus heutiger Sicht ungleich schwerer als ein Sich-Ausprobieren am Beginn einer neuen Epoche. Wer da nach Lösungen ruft, ist ein Simpel. Wer bei denen, die verwirrt verharren, Kapitulation zu erkennen glaubt, hat selbst längst kapituliert: vor der Komplexität.

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