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Georges Prêtre beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2010.

© dpa

Georges Prêtre wird 90: Mit der Neugier des Jünglings

Er atmet mit dem Orchester, entlockt ihm einen sinnlichen Klang, genießt den Rausch der Farben. Und ist immer noch ein Dandy auf dem Podium. Am heutigen Donnerstag wird der Dirigent Georges Prêtre 90.

Das Orchester ist für ihn wie eine schöne Frau. Ein Gegenüber, mit dem er flirtet, das er umwirbt, verwöhnt, zum Strahlen bringen will. Georges Prêtre braucht keine ausladende Gestik, wenn er große Klangpracht entfalten will. Mit fließenden Bewegungen ermutigt er seine sinfonischen Partner, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Was die Rollenverteilung betrifft, ist der Franzose allerdings ganz altmodisch: Wo es langgeht, bestimmt nur einer. Er.

Mit dieser Mischung aus Kavaliercharme und selbstbewusstem Führungsanspruch hat Georges Prêtre jahrzehntelang in der Musikwelt seine Eroberungen gemacht, bis ins höchste Alter: Herbert von Karajan gehörte zu seinen frühen Förderern, ließ ihn 1957 an der Wiener Staatsoper debütieren. Später erklärte Maria Callas ihn zu ihrem Lieblingsdirigenten, nahm 1964 unter seiner Leitung eine legendäre „Carmen“ auf sowie Puccinis „Tosca“. 2008, mit 84 Jahren, durfte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigieren, als ältester Dirigent, der je für die prestigeträchtige Veranstaltung eingeladen wurde. Anschließend verpflichtete ihn das Orchester sofort für einen weiteren Auftritt am 1. Januar 2010.

In Paris wurde Prêtre nicht glücklich

Begonnen hat die Karriere des 1924 im nordfranzösischen Douai geborenen Prêtre mit der klassischen Ochsentour durch die Provinz: Er ging nach Paris, um am Konservatorium Trompete zu studieren, wechselte aber bald in die Dirigierklasse. Als 22-Jähriger ergatterte er 1946 sein erstes Engagement in Marseille, wechselte nach Lille, arbeitete von 1949–51 am Opernhaus von Casablanca. Die nächste Station war Toulouse, bis er 1956 endlich wieder die französische Hauptstadt erreichte. Doch richtig glücklich wurde er hier nicht. Drei Jahre hielt die Liaison mit der Opéra Comique, sein 1970 angetretenes Amt als Musikdirektor des Palais Garnier verließ er schon nach einer Spielzeit wieder. Besser lief es im Ausland, in den USA, in Italien, wo er enge Bindungen an die Mailänder Scala einging, sowie in Österreich, wo er von 1986–91 als erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker wirkte.

Als Operninterpret versteht es Georges Prêtre, mit den Sängern zu atmen, den Orchestern entlockt er einen plastischen, sinnlichen Klang. Im französischen Repertoire wie auch bei deutschen Romantikern vermag er jene seltene, beglückende Synthese herzustellen von Respekt vor den Werken, höchster Sorgfalt in der technischen Umsetzung, enormer Konzentration – und Liebe zur Musik an sich. Jeder seiner Berliner Auftritte, zumeist mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, wurde in den letzten 15 Jahren zum singulären Ereignis, wenn Prêtre wie ein junger Dandy mit flinken Schritten das Podium betrat, um den Augenblick zu feiern, mit dem Publikum den Rausch des natürlichen, in raffinierter Farbvielfalt schillernden Klangs zu genießen. Mit der Neugier eines Jünglings vermag dieser Grandseigneur, die altbekannten Partituren immer wieder für sich zu entdecken, tausendmal Gehörtes anmutig zu verlebendigen. Ans Aufhören denkt er auch am heutigen Donnerstag, seinem 90. Geburtstag, noch lange nicht: Der Scala hat er zugesagt, im November Jules Massenets „Werther“ zu dirigieren.

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