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Paul Delaroche (1797–1856): Napoleon I. in Fontainebleau am 31. März 1814 nach Empfang der Nachricht vom Einzug der Verbündeten in Paris, 1845. Öl auf Leinwand.

© Museum der bildenden Künste, Leipzig

"Geschichte als Sensation" in Leipzig: Gescheitert, lebensgroß

„Geschichte als Sensation“ – im Museum der bildenden Künste Leipzig treffen der unbekannte Historienmaler Paul Delaroche und der berühmte Eugène Delacroix aufeinander.

Da sitzt er, zusammengesunken auf seinem Stuhl. Dicklich, ein wenig plump, mit seinem zu großen Kopf, den schlammbespritzten Stiefeln. Düster starrt der geniale Feldherr vor sich hin. Soeben hat Napoleon in Fontainebleau die Nachricht empfangen, dass die alliierten Preußen, Russen und Österreicher in seiner Hauptstadt eingerückt sind. Strahlende Helden sehen anders aus.

Bonapartes Niederlage lag bereits Jahrzehnte zurück, als Paul Delaroche 1845 sein großformatiges Leinwandbild malte. Für den 1797 geborenen Maler war Napoleon ein gescheiterter Held. Gerade die Ambivalenz zwischen historischer Größe und Scheitern, zwischen Geschichtspathos und peniblem Realismus macht seine Historiengemälde nicht nur im Format groß. Sie schaffen es, heute noch zu fesseln.

Das Museum der bildenden Künste Leipzig stellt den heute fast vergessenen, einst gefeierten Maler Delaroche vor und ihm als Antipoden erstmals den weit berühmteren Eugène Delacroix gegenüber. Es ist ein Gipfeltreffen zweier Künstler, die sich gut kannten. Beiden ging es darum, Geschichte lebendig zu machen.

Den aussagekräftigen Moment beim Schopf zu packen, das Packende herauszukitzeln. Aber ihre Strategien waren denkbar unterschiedlich. Das macht die (135 Werke umfassende) Leipziger Ausstellung so spannend, auch wenn Delacroix´ große, berühmte Meisterwerke wie seine Revolutionsikone der barbusigen „Freiheit“ auf den Barrikaden nicht aus dem Louvre anreisen durfte. Kleinformatiges, Ölskizzen und Studien vermitteln ein Bild seiner Arbeitsweise.

Eugène Delacroix (1798–1863): Der Tod des Sardanapal (Ölstudie), 1826/27 Öl auf Leinwand, 81×100 cm Paris, Musée du Louvre, Département des Peintures

© bpk / RMN - Grand Palais

Strahlkraft entwickelt vor allem Delaroches Napoleon. Davor bleiben die Besucher lange stehen. Obwohl in diesem Gemälde eigentlich nichts passiert – außer im Geist des Dargestellten und des darüber reflektierenden Betrachters. Der Bildtitel benennt auf den Tag genau, welchen Moment der Geschichte Delaroche hier vergegenwärtigt. Nicht nur terminlich beweist der Maler Akkuratesse. Jedes Uniformdetail ist so perfekt wiedergegeben, dass man die stoffliche Oberfläche mit den Augen abtasten kann. Das ganze Gemälde suggeriert: Genauso war es. Der Betrachter fühlt sich als Augenzeuge eines historischen Moments, der doch nur erdacht ist. Doku-Fiktion des 19. Jahrhunderts. Delaroche setzte auf reportagehafte Faktentreue und penible Ausführung. Seine Szenen bereitete der Maler mit kleinen Wachspuppen vor, die er in Guckkästen stellte und ausleuchtete.

Der fast gleichaltrige Delacroix ließ sich lieber vom Schwung der Imagination davontragen. Auf seinen Bleistiftskizzen formen sich aus lockeren Linienbündeln bewegte Figurengruppen. Zwar trieb auch er Studien von mittelalterlichen Waffen, Kostümen, Accessoires. Aber was seine Bilder trägt, ist Emotion. Und ein lebendiger, impulsiver Pinselstrich. Seine Phantasie ließ Delacroix von literarischen Stoffen befeuern, wie übrigens auch Delaroche. Er begeisterte sich für Shakespeare, Dante, Walter Scott und Goethe: Romanhafte Stoffe lieferten ihm das Rüstzeug für eine Romantik im ursprünglichen Sinne.

Als junger Mann malte Delacroix sich selbst in Gestalt eines Romanhelden. Wenn er die ertrinkende Ophelia, Hamlet mit dem Schädel, Ugolino im Hungerturm auf die Bildbühne holte, verstand das zeitgenössische Publikum die Handlung mühelos zu lesen. Geschockt allerdings zeigte man sich 1828 von Delacroix´ Orientphantasie „Der Tod des Sardanapal“ nach Lord Byron. Erotik, brutale Gewalt und furiose Pinselführung mixte der Maler hier zu einer explosiven Mischung. Die in Leipzig ausgestellte Ölskizze wirkt noch mitreißender als das ausgeführte Riesengemälde im Louvre, das den 30jährigen Maler ins Kreuzfeuer erboster Kritik stellte und endgültig berühmt machte.

Der Leipziger Kunstsammler und Seidenwarenhändler Adolph Heinrich Schletter konnte sich für Delacroix wilden Malstil nicht erwärmen. Dem Millionär, der beruflich in Paris zu tun hatte, stachen in den Salonausstellungen vielmehr die glatt gemalten Delaroches in die Augen. Den gescheiterten Napoleon in Fontainebleau erwarb Schletter beim Künstler persönlich und ließ sich, ganz Kaufmann, die Echtheit des Bildes schriftlich zertifizieren. Seine auf 98 Gemälde angewachsene Sammlung französischer Gegenwartskunst vermachte Schletter der Stadt Leipzig und gab damit den Anstoß zur Gründung des Museums. Was dem Sammler sonst so gefiel, ist in einer flankierenden Ausstellung zu sehen. Hier gibt es Salonmalerei im besten Sinne: gekonnt ausgeführt, effektvoll komponiert, mit viel, manchmal zuviel Gefühl. Auf Eisbärenjagd im Polarmeer, beim Sandsturm im Beduinenzelt oder vor den gewaltigen, menschenleeren Landschaften des zu Unrecht vergessenen Maler Alexandre Calame spürt man: Kunstliebhaber wie Schletter suchten in der Malerei auch das große Abenteuer, die weite Welt und das intensive Gefühl, das ihnen der bürgerliche Alltag nicht bot.

Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 17. Januar 2016

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