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Kultur: Geschichten aus dem harten Leben

Constanza Macras bringt mit Roma-Tänzern und -Musikern einen furiosen Performance-Abend auf die Bühne des HAU.

Von Sandra Luzina

Die Roma kommen! Schon die Anfangsszene von Constanza Macras neuem Stück „Open for everything“ spielt ironisch mit der Angst vor den Elendsflüchtlingen aus Osteuropa. Aus dem braunen Lada, der mit Logos geschmückt ist wie eine Handtasche von Louis Vuitton, springt ein Dutzend abgerissener Gestalten ins Freie. Und es werden immer mehr. „Wie viele seid ihr?“, fragt die Tänzerin Hyoung-Min Kim entgeistert.

Wenn sich die Rolläden des Containers im Bühnenhintergrund heben, sieht man fünf Männer, die finster ins Publikum starren. Doch dies sind keine zwielichtigen Gesellen, die eine Bande bilden – es ist die Band des Abends: Die Musiker um den Geiger Marek Balog feuern die Tänzer an, mischen Ungarisches, Gypsy-Musik und sentimentale Lieder und tragen ganz wesentlich dazu bei, dass diese Produktion so aufgekratzt daherkommt.

Die Einladung des Goethe-Instituts Prag, ein Projekt mit Roma zu machen, kam schon 2009. Mehrere Monate reisten Macras und ihre Mitarbeiter durch Ungarn, Tschechien und die Slowakei, um Auditions abzuhalten. Macras besuchte auch die Roma-Ghettos, etwa bei Kosice, wo die Roma in maroden Plattenbausiedlungen leben. 18 Roma-Tänzer und -Musiker im Alter von 12 bis 56 Jahren treffen nun auf fünf Performer von Macras' Compagnie Dorky Park. Es ist ein Tanz auf vermintem Gelände. Denn wie keine andere Minderheit werden die Roma verfolgt und diskriminiert, seit Jahrhunderten.

Macras ist dafür bekannt, Klischees beherzt zu Leibe zu rücken. In „Open for everything“ zitiert sie all die rassistischen Stereotypen über die Roma, auch Hetzparolen von Politikern wie Sarkozy, und verdichtet sie zu einer fürchterlichen Suada. „Sie machen Kinderpornografie. Und sie kriegen die Kinder ja nur deshalb, damit sie staatliche Gelder bekommen und nicht arbeiten müssen“, ereifert sich eine Schauspielerin. Der Hassmonolog gipfelt in der Behauptung, ein Zigeuner-Gen sei dafür verantwortlich, dass auch diese dunkelhäutigen Nomaden nie Europäer würden.

Anouk Froidevaux gibt die schwärmerische Roma-Versteherin im Hippie-Look. „Lebt ihr noch nach den Gesetzen des Zigeunerkodex?“, fragt die Hobby-Ethnologin verzückt. Eine Figur, die uns den Spiegel vorhalten soll. Denn am Ende bricht sie in Tränen aus beim Anblick des unfassbaren Elends in einem Roma-Ghetto, und muss getröstet werden von einem der toughen Jungs. Macras will kein Betroffenheitstheater machen, das die Darsteller zu Opfern degradiert.

Sie lässt die Roma selbst zu Wort kommen. Sie erzählen vom harten Leben – und von den Versuchen, rauszukommen aus dem Ghetto. Es sind traurige Geschichten wie die von Vicky. Viktórai Lakatos, 20 Jahre alt, sieht wie 16 aus und ist unglaublich selbstbewusst. Sie ist Mutter einer dreijährigen Tochter. Der Vater, ein Junkie, sitzt im Knast und schreibt ihr Drohbriefe. Doch Vicky versichert: „Ich habe die Situation unter Kontrolle.“

Gebannt lauscht man den Geschichten von Vicky, Adam, Magdi und Iveta, die von sich sagt: „Ich habe lange gebraucht, mich als Roma zu akzeptieren.“ Macras geht natürlich ein Wagnis ein mit diesem Samplen von authentischen Lebensbeichten, die man manchmal für etwas naiv halten könnte. Doch sie lässt die Roma als Subjekte ihres Lebens auftreten. Sie wollen Respekt, kein Mitleid.

Dann wieder erlaubt die Choreografin sich Ungeheuerlichkeiten. Fatima, die einmal Rajmund war, tritt als Leni Riefenstahl auf, legt einen spanischen Tanz mit Kastagnetten hin. Macras spielt auf den Film „Tiefland“ an, für den die Regisseurin KZ-Häftlinge aus dem „Zigeuner“-Lager Maxglan als Statisten angefordert hatte. Dann wieder wird der Jüngste der Roma von einem Tänzer mit Schläfenlocken auf den Kopf gestellt, wobei ihm Münzen aus den Taschen purzeln. Hier werden jüdische und Zigeunerklischees mutwillig gekreuzt.

„Open for everything“ ist eine Reise durch das prekäre Leben der Roma-Communities. Doch Macras nimmt sie nicht nur als „Problemfälle“ in den Blick, denn dadurch würden sie nochmals ausgegrenzt. Sie packt sie bei ihren Performer-Qualitäten. Dabei will sie die Kultur der Roma weder konservieren noch verklären. So entsteht ein furioser Mix aus Gypsy-Folklore, Hip–Hop, Flamenco und zeitgenössischem Tanz. Es ist vergnüglich anzusehen, wie die Roma und die DorkyPark-Performer sich bemühen, eine gemeinsame Tanzsprache zu finden. Und trotz aller Tapsigkeiten auch sehr berührend.

Weitere Aufführungen im HAU 1 am 20., 22. und 23. Mai, jeweils 19.30 Uhr.

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