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Kultur: Gesichter der Großstadt

Lübeck statt Berlin: Eine Ausstellung entdeckt den Impressionisten Anders Zorn neu.

Ein Blick auf das Porträt von Miss Law genügt. Ihr kantiges Profil, die leichte Wölbung der Nase und das kupferfarbene Haar verraten einen Maler, der sein Modell in keine ästhetische Schablone presst. Genau wie bei „Mrs. J. Donald Cameron“, im Jahr 1900 entstanden, oder den „Fräulein Salomon“ von 1888 offenbart sich statt gängiger Schönheitsideale das unmittelbar Charakteristische der Gesichter. Dafür entfacht Anders Zorn rund um die Porträtierten ein Spiel aus Farben, Stoffen und Lichtreflexen, das die Frauen wie überirdische Wesen wirken lässt.

So wollte sich die mondäne Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts sehen und überhäufte den schwedischen Überflieger mit Aufträgen. Es war eine viel versprechende Zeit für die aufstrebende Bourgeoisie, die dank der Industrialisierung zu neuem Geld gekommen war. Doch Zorn vergaß auch die anderen nicht, und so versammelt die erste große Werkschau seit zwei Jahrzehnten mit ihren rund 100 Exponaten sowohl die Porträts des begehrten Malers als auch seine Impressionen von winzigen Fischerbooten und ihren Besitzern im „Hamburger Hafen“, von Arbeiterinnen in der „Kleinen Brauerei“ oder „Spitzenklöpplerinnen“, die Zorn allerdings ohne jeden sozialkritischen Impetus festhielt. Für den Maler war die Welt aus Licht und Farbe zusammengesetzt.

Als möglicher Ort für die Ausstellung „Anders Zorn – der schwedische Impressionist“ war zu Beginn ihrer Konzeption auch die Berliner Liebermann-Stiftung im Gespräch. Dass sie nicht zugegriffen hat, darüber kann sich Lübeck nun freuen. Im Museum Behnhaus Drägerhaus entpuppen sich die raffinierten Kompositionen als Magnet mit bislang über 25 000 Besuchern. Dabei hätte die Ausstellung gut nach Berlin gepasst, weil Zorn den deutschen Secessionisten um Max Liebermann als Vorbild galt, was seine moderne, von den Franzosen geprägte Bildauffassung betraf. 1896 porträtierte er zuerst Martha Liebermann, dann den Maler selbst und verkaufte im selben Jahr auch die Landschaft „Sommerabend“ an die Berliner Nationalgalerie.

Ausgerechnet eine Leihgabe aus diesem Haus unterläuft allerdings auch die klare stilistische Zuordnung des Künstlers, wie sie die Schau behauptet: „Maja“, das Porträt einer Frau im ärmelfreien Abendkleid und mit zwei Nerzfellen um den Hals, an denen noch die Köpfe der Tiere hängen, ist deutlich vom Symbolismus beeinflusst. Dessen düstere Romantik, das Thema der Femme fatale und eine dramatische Lichtregie begleiten Zorn auch weiter durch die luxuriösen Wohnungen seiner Auftraggeber. Als Freilichtmaler hingegen versetzt der Künstler seine Akte aus der lasziven Atmosphäre der Boudoirs in die unschuldige Natur.

Seinen Zeitgenossen galt er als Jahrhundertgenie, dank der unterschiedlichen Talente, zu denen noch ein souveräner Umgang mit der Radierung kam. Nach Zorns Tod 1920 haderte die folgende Generation allerdings erst einmal mit dem machtbewussten Aufsteiger, der die künstlerischen Strömungen seiner Zeit effektvoll einsetzte, ohne die Moderne zu wollen. Zorn war Impressionist aus atmosphärischen Gründen, die analytischen Experimente eines Paul Cézanne interessierten ihn ebenso wenig wie die Abstraktion. Dafür konnte er genau beobachten und verband seine detaillierten Eindrücke mit locker skizzierten Partien. So entstanden Kompositionen, die von Russland bis in die USA geschätzt wurden, von wo aus der amerikanische Präsident William Howard Taft einen Brief an „My dear Mr. Zorn“ verfasste, in dem er Zorns präsidiales Porträt aus dem Jahr 1911 zum besten Bild im Weißen Haus erklärte.

Dabei hätten die Künstlerkollegen von ihm etwas anderes lernen können. Zorn, Sohn einer Saisonarbeiterin aus Uppsala und eines deutschen Brauereimeisters, arbeitete sich aus eigenen Kräften hoch und überließ wenig dem Zufall. Als er 1882 nach London zog, mietete er ein Studio in der teuren Brook Street. Das Geld für die noble Ausstattung lieh sich der Maler zusammen, weil der Nimbus des genialen, aber armen Künstlers nicht zu seiner Strategie passte, die feine Gesellschaft einzufangen. Als Zorn später nach Paris wechselte, knüpfte er schon vor seiner Ankunft Kontakte, die ihm die Tür zur Pariser Elite öffnen sollten. Seine Bilder schickte er regelmäßig nach Paris zur Salon-Ausstellung und erhielt 1888 für den „Fischmarkt in St. Ives“ eine ehrenvolle Erwähnung. Die Ansicht folgt akademischer Tradition, die Figuren sind fast fotografisch genau dargestellt.

Das gefiel dem französischen Staat, der das Bild schließlich ankaufte. So exportierte Zorn nicht seinen Stil, machte sich aber einen Namen. Und komplettiert das Bild eines Künstlers, der die Arbeit einer Galerie gleich noch miterledigt: der Maler als moderner Unternehmer.

Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck, bis 15. April, Katalog: 29,90 €

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